Transit
Portugiese machte eine Bewegung: Versuch, ob du mehr aus dem Mann herausbekommst! Ich begann nun meinerseits, mit dem Mann zu flüstern, Heinz sei mein Freund, wir seien in einemLager gewesen, ich hätte ihm bei dieser Reise geholfen, nun sei ich besorgt, was aus ihm geworden sei. Der kleine Junge, der die Pakete verstaute, legte sein Gesicht auf den Korbrand, um etwas von unserem Geflüster aufzuschnappen. »Kein Grund zur Besorgnis«, sagte der Mann, »Ihr Freund ist sicher schon angekommen.« Er war nicht im geringsten geneigt, sich näher auszulassen. In seinem ruhigen Gesicht gab es einen Augenblick einen Zug vergnügten Spottes, vielleicht die Erinnerung an eine Einzelheit ihrer Reise, einen Streich, eine Übertölpelung einer Hafenbehörde. Er hatte wahrscheinlich vor unserem Besuch auch Heinz vergessen. Seine grauen Augen erwärmten sich jetzt noch einmal bei der Erinnerung; er sah ihn wahrscheinlich noch einmal vor sich mit seinen Krücken, seinem vor Anstrengung verzogenen Mund, seinen hellen, über die eigene Gebrechlichkeit spottenden Augen. Dieser warme Schatten in den grauen Augen eines französischen Seemanns war auch das Letzte, das letzte Sichtbare, was von Heinz in diesem Erdteil zurückblieb.
Auf der Treppe stieß mich mein Portugiese an. Sein Gesicht bedeutete: Gib mir den Fine, der mir zusteht! Es war zwar alkoholfreier Tag, wir landeten aber an einer Theke, wo uns der Wirt rasch einen Schnaps in den Kaffee goß. Darauf merkten wir, der Portugiese und ich, daß wir einander gar nichts zu sagen hatten und uns zusammen langweilen müßten. Wir trennten uns höflich. Der Mistral hatte so plötzlich aufgehört, wie er begonnen hatte. Sogar die Sonne war noch einmal herausgekommen.
Ich lief allein in die Innenstadt. Ich vertrödelte ein, zwei Stunden vor den Geschäften. Den ganzen Tag über hatte ich keinen Augenblick aufgehört, an mein Unglück zu denken, an das, was ich für mein Unglück hielt. In Claudines Küche, auf der Suche nach Heinz, im arabischen Café, im Seemannsverein, beim Fine mit dem Portugiesen – ich hatte an alles andere auch gedacht, aberimmer zugleich an mein Unglück. Wie hatte ich denn nur vorher gelebt, da ich auch allein gewesen war? Mir fiel Nadine ein. Ich stellte mich in den Seitenausgang der Dames de Paris, um auf sie zu warten. Sie war mir völlig gleichgültig. Ich war trotzdem froh, daß ihr Gesicht aufstrahlte, als sie mich an der Straße erkannte. Sie sah sehr gut aus in ihrem schönen Mantel mit einer Kapuze aus Pelz.
Der schwere Arbeitstag schien ihr nichts anzuhaben. Sie hatte jede Spur Müdigkeit sorgfältig vertilgt. Der Schmetterlingsstaub lag gelblich auf ihrem Hals, auf ihrem Gesicht, auf den hübschen Ohren, die aus der Kapuze heraussahen. Sie sagte: »Du kommst mir wie gerufen.« Ich wurde bei diesen Worten dankbar und froh, obwohl mich mein Unglück weiterbrannte. Nadine fuhr fort: »Denk dir nur, mein Major ist abgereist. Er hat ganz plötzlich die Order bekommen. Martinique. Eine Militärkommission.« – »Der Abschiedsschmerz«, sagte ich, »scheint dich nicht besonders mitzunehmen.« – »Ich will dir die Wahrheit sagen. Ich hab genug von ihm gehabt. Er hatte was Drolliges in seiner Art, was mich zuerst belustigte. Doch bald ging es mir auf die Nerven. Er war mir auch zu klein, sein Kopf war klein, wir gingen gestern abend den Tropenhelm kaufen, der rutschte ihm bis auf die Nase. Er war ein sehr guter Mensch. Er hat sehr gut für mich gesorgt, du wirst es gleich selbst sehen. Darum hab ich immer Angst haben müssen, daß mir die Nerven reißen. Jetzt sind wir in bester Freundschaft auseinander. Dann auf dem Rückweg wird er in Casa bei seiner Frau aussteigen. Ich hab genug von ihm gehabt. Ein sehr guter Mensch, trotzdem. In solchen Zeiten muß man manchmal die Zähne aufeinanderbeißen und sich stellen, als ob – Jetzt wirst du mit mir hinaufgehen, damit du siehst, wie der Mensch für mich gesorgt hat. Ich werde uns beiden ein Nachtessen machen, wie du schon lange keins gegessen hast.«
Sie wohnte noch immer in ihrem alten Loch, nicht weit von den Dames de Paris. Es fiel mir nicht schwer, ihrFreude zu machen durch eine große Verblüffung über die völlige Auffrischung ihres Haushalts. Schlechterdings alles war neu, die Steppdecke und die Kissen, das Geschirr und der Spirituskocher und alle Gegenstände unter dem Spiegel und der Spiegel selbst und auch die geheimsten Dinge aus Glas und Emaille. Wir öffneten eine Menge Konservenbüchsen und
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