Transit
leiden lassen, daß Ihre Familienverhältnisse sich hier verschoben haben. Ich muß aus meinen Spesen herauskommen.«
Ich sagte: »Gewiß, Herr Descendre.«
»Ich bin nur froh, daß Sie das einsehen. Frau Weidel hat mich damals an Sie verwiesen. Ich hoffte auf einen Teil der Rückerstattung bereits im besetzten Paris. Doch leider ist es mir damals nicht mehr gelungen, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich übergab meinen Auftrag Herrn Paul, der mir durch seine Schwester bekannt war.«
Ich sagte: »Was für Spesen, Herr Descendre?«
Er rief verärgert: »So hat Ihnen also Frau Weidel nichts gesagt? Wahrscheinlich weil sie jetzt andere Interessen hat. Verzeihen Sie, Herr Weidel, ich würde die Umstände gar nicht erwähnen, wenn ich Sie selbst nicht auch als getröstet betrachten dürfte. Ich sah die Dame in anderer Begleitung. Für mich aber bleiben Spesen Spesen. Und damals hat mir Frau Weidel hoch und heilig versprochen, mir einen Teil meiner Spesen zu ersetzen, falls ich ihre Botschaft mitnehme. Ich habe mich nämlich damals sehr schwer zu einer Reise ins besetzte Gebiet entschlossen. Die Sache war kostspielig, ungewiß, so kurz nach dem Einmarsch. Man mußte auch trotz der deutschen Genehmigung mit den Schwierigkeiten der Rückfahrt rechnen. Die Demarkationslinie konnte geschlossen oder verschoben werden. Meine eigene Braut beschwor mich, die Reise aufzugeben. Ich hatte aber im Frühjahr Rohseideballen an die Firma Loroy geliefert. Die sollten zu Heereszwecken verwandt werden, zu Ballonhüllen, Fallschirmen. Ich konnte damals keine Gewißheit darüber erlangen, ob meine belieferte Firma evakuiert war mit meiner Rohseide, oder ob die Deutschen sie beschlagnahmt hatten. Im zweiten Falle war die Auszahlung der Entschädigung nur zu erlangen mit Nachlieferungskontrakt. Für mich stand viel auf dem Spiel. Doch hat Ihre Frau Gemahlin den letzten Ausschlag gegeben – sie versteht es, Männer zu bitten. Sie seien mir ewig dankbar, behauptete sie, es sei eine Frage von Tod und Leben, ob dieser Brief Sie erreiche, die Mitbeteiligung an den Spesen spiele da überhaupt keine Rolle. Es war auch verboten, Post mitzunehmen. Leibesvisitation! Die Dame muß es wirklich verstanden haben, mich zu rühren. Ich glaubte an eine große Leidenschaft. Um so peinlicher war dann mein Eindruck bei der Rückkehr. Ich hatte während der ganzen unangenehmen Fahrt das Gesicht der kleinen Frau vor Augen. Wahrhaftig, so seltsam es klingt, ich dachte bei mir: Die Kleine wird sich freuen, wenn ich ihr sage, ich habe den Auftrag erledigt. Denn daß ich Sie damalsnicht selbst erreichte, das war ja gewiß nicht meine Schuld. Ein Unstern waltet über Ihren Wohnungen, mein Herr. Sie haben Pech mit Ihren Adressen. Sie waren auch in Paris unerreichbar. In Ihrem alten Quartier wußte niemand, wo Sie verblieben waren, Sie waren nicht um- und nicht abgemeldet, Herr Paul aber, wie ich zu meiner Genugtuung sehe, denn Sie sind ja hier, hat meinen Auftrag pünktlich erledigt. Die Dame mag wohl ihren neuen Freund nicht um Geld angehen. Ich aber kann nichts dazu, wenn die Leidenschaften vergehen. Ich muß auch auf kleine Posten achten. Denn ohne dieses Prinzip wäre ich nie im Leben die Firma Descendre geworden.«
Ich sagte: »Schon gut, Herr Descendre. Wie hoch belaufen sich diese Spesen der Briefüberbringung?«
Er nannte seine Summe. Ich dachte nach. Ich hatte nur das Geld zu Verfügung, das mir der Kubareisende vor zwei Wochen für den Weidel geschenkt hatte. Ich zählte es auf den Tisch. Bisweilen erreicht man mit einer gewissen Aufrichtigkeit genau so viel wie mit Lügen. Ich sagte: »Mein lieber Herr, Sie sind vollständig im Recht. Sie haben den Auftrag anständig ausgeführt. Sie haben niemand im Stich gelassen. Es war auch nicht Ihre Schuld, daß Sie mich damals nicht selbst in Paris antrafen. Ihr Brief hat mich trotzdem erreicht. Sie müssen mit Ihren Spesen rechnen. Sie sehen aber, ich bin arm. Ich zahle Ihnen, soviel ich kann. Obwohl sich die Umstände meines Lebens gewandelt haben, bleibt mir dieser Brief viel wert. Ich will mich sogar bemühen, die Spesen der Überbringung abzuzahlen, sobald ich es kann.«
Er hörte mich aufmerksam an, er ruckte mit seinem Kopf hin und her. Dann unterschrieb er die Quittung. Er machte mir eine Andeutung, daß er hier zu meiner Verfügung sei, daß er außerdem auch die Möglichkeit habe, bei der Visa-de-sortie-Abteilung der Präfektur vorzusprechen. Zuletzt entschuldigte er sich, wobei er einige Worte über die
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