Transit
einzugestehen, da ja dieses Kind nach dem Willen des Konsuls, der das Transit bestimmte, auf dem Ozean geboren werden konnte oder auf einer Insel des Ozeans oder schon in dem neuen Land – wobei man auch in Erwägung zog, daß dieses ungeborene Kind, falls die vor dem Konsul angegebenen Termine für seine Geburt unmöglich waren, gar nicht das Licht der Welt zuerblicken brauche, soweit da von Licht die Rede war – ob es besser sei, die Gefährlichkeit einer Krankheit zu verschweigen oder sie eindringlich zu beschreiben, weil eine Krankheit, langwierig, wohl zu Lasten des amerikanischen Staates gebucht werden konnte, ein Mensch aber, der nach ärztlichem Zeugnis bestimmt rasch starb, niemandem zur Last war – ob man wirklich vollständig arm sein dürfe, oder ob man auf irgendeine geheimnisvolle Geldquelle hindeuten solle, obgleich man nur mit den Billetts der Komitees hier angekommen war, nachdem die Vaterstadt verbrannt war und in der Vaterstadt Hab und Gut und mancher Nachbar – ob es richtig sei einzugestehen, die deutsche Kommission könne mit Auslieferung drohen, falls sich das Transit verzögere, oder ob es doch besser sei zu verschweigen, daß man ein solcher Mensch sei, den die Deutschen mit Auslieferung bedrohten.
Ich aber, ganz elend von dem Transitgeflüster, ich staunte sehr, wenn ich derer gedachte, die in den Flammen der Bombardements und in den rasenden Einschlägen des Blitzkrieges zugrunde gegangen waren, zu Tausenden, zu Hunderttausenden, und viele waren daselbst auch zur Welt gekommen, ganz ohne Kenntnisnahme der Konsuln. Die waren keine Transitäre gewesen, keine Visenantragsteller. Die waren hier nicht zuständig. Und selbst wenn von diesen Unzuständigen einige sich bis hierher gerettet hatten, an Leib und Seele noch blutend, sich in dieses Haus hier doch noch geflüchtet hatten, was konnte es einem Riesenvolk schaden, wenn einige dieser geretteten Seelen zu ihm stießen, würdig, halbwürdig, unwürdig, was konnte es einem großen Volk schaden?
Die Treppe herunter kamen mit vor Freude bleckenden Zähnen die drei Erstabgefertigten, ein kleiner dicker Mann mit zwei hohen, geputzten Frauen. Sie hatten alle drei ihr amerikanisches Visum in den Händen, von weitem erkennbar an den roten Bändchen, die durch das steife Papier gezogen waren, ich weiß nicht zu welchem Zweck. Die roten Bändchen, die an die Ehrenlegion erinnerten,waren auch eine Art Ordensband, des Ordens der Ehrenlegion der amerikanischen Transitäre. Kurz nach den dreien erschien, bereits in den höheren Stockwerken abgefertigt, mein kahlköpfiger Mittransitär, den ich seit einigen Wochen zu treffen pflegte. Er stieg sehr ernst die Treppe herab und hatte leere Hände. Das wunderte mich; er war mir bei unserer flüchtigen Bekanntschaft als ein Mann erschienen, der in dieser nun einmal so beschaffenen Welt erreicht, was ihm nützt. Als er sich durch die Wartenden schob, erblickte er mich und lud mich ein in das Café Saint-Ferréol. Darauf erschien meine Zimmernachbarin auf der Treppe, mit fröhlicher Miene, die beiden Hunde zur Seite. Sie winkte mir zu und wickelte dann die Leinen der Hunde um ihre Handgelenke, damit wir ein paar Worte wechseln könnten. Sie hatte für mich längst aufgehört, ein häßliches, putziges Weib zu sein mit frechem Gesicht und schiefen Schultern, mit zwei riesigen Kötern, sie war mir zugleich vertraut und entfremdet, eine sagenhafte Person, eine Art Diana der Konsulate.
»Es hat sich herausgestellt«, sagte sie, »daß diese zwei Tiere noch eine Bescheinigung brauchten, daß sie wirklich die Hunde von Bürgern der Vereinigten Staaten sind. Ich möchte die beiden am liebsten schlachten, weil sie daran schuld sind, daß ich immer noch nicht abfahren kann, doch weil mir ihre Besitzer kaum mein Leumundszeugnis bestätigen würden, falls ich die Tiere zu Gulasch zerhacke, muß ich sie pflegen und bürsten und baden, denn schließlich hätte ich ohne sie noch kein Visum.« Mit diesen Worten, die für die Umstehenden unverständlich waren, lockerte sie ihre Leinen und zog hinaus auf den Place Saint-Ferréol.
Inzwischen hatte mein Viertelstündchen geschlagen. Ich war auf den 8. Januar vor den Konsul bestellt, auf zehn Uhr fünfzehn. Mir klopfte das Herz vor dem Rennen, das ich alsbald gewinnen mußte. Doch war es diesmal kein holpriges furchtsames Klopfen, sondern ein scharfes, gespanntes. Der Treppenhüter gab mir den Zugangfrei, ich bezog den zweiten Vorraum. Er war voll, so daß ich noch Wartezeit
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