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Transsibirien Express

Transsibirien Express

Titel: Transsibirien Express Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Balg ist sie, weiter nichts. Jung natürlich, und wenn man sie gut füttert, kann die Figur sich runden … aber jetzt? Schämen Sie sich nicht, als kräftiger Mann mit solch einem Würmchen.« Er machte eine eindeutige Handbewegung und schnaufte empört.
    »Nein!« antwortete Forster ruhig. »Aber jetzt sind wir allein, Sie haben gefrühstückt …«
    »Mies war es, ausgesprochen mies! Tee wie Spülwasser, ein Ei aus der Steinzeit, Brot, auf dem die Zähne ausrutschen, so glitschig war es!«
    »Das alles ist nicht Mildas Schuld!« Forster bot dem Russen erneut seine amerikanischen Zigaretten an, und Karsanow nahm eine, obwohl sie seiner Ansicht nach stanken.
    »Warum fallen Sie über Milda her, Pal Viktorowitsch?«
    »Sie sind über sie hergefallen, nicht ich! In meiner Gegenwart, Sie Ferkel! Allerdings habe ich geschlafen …«
    »Da kann man nur sagen: leider!«
    Karsanow rauchte erregt.
    »Was wollen Sie von mir?« fragte er nach drei tiefen, langen Zügen. »Soll ich dulden, daß dieses Mädchen hier in meinem Abteil ihrem Gewerbe nachgeht?«
    Er unterbrach sich.
    Über den Gang stolzierte ein großer breiter Mensch mit einem Wollschal um den Hals. Das war nichts Ungewöhnliches, aber dieser Mensch sang aus voller Kehle und kümmerte sich nicht darum, daß die Abteiltüren aufflogen und überall die Gäste hinausstarrten.
    »Vater, Mutter, Schwestern, Brüder, hab' ich auf der Welt nicht mehr …«, sang er. Er hatte einen schönen Tenor.
    »Noch ein Irrer!« meinte Karsanow.
    »Undine …«
    »Wie bitte?«
    »Er singt eine Arie aus Lortzings ›Undine‹.«
    »Man kann verstehen, daß der General ihn erschießen will. Solche Leute dürften nur im Gepäckwagen mitgeführt werden! – Werner Antonowitsch, trotzdem – mir gefällt Milda Tichonowna nicht!«
    »Mir um so besser, Pal Viktorowitsch!«
    »Ich meine nicht als Mann. Darüber kann man diskutieren. Ich meine – ihre Gegenwart im Zug ist ungewöhnlich.«
    Karsanow lutschte hingegeben an der amerikanischen Zigarette, aber er hätte nie zugegeben, daß sie ein Genuß war.
    Forster beobachtete den Russen genau. Was er jetzt so leichthin dahersagte, war in Wirklichkeit sehr gefährlich!
    Irgend etwas an Milda schien tatsächlich ungewöhnlich zu sein, selbst wenn man nicht wußte, daß sie heimlich im Zug mitfuhr, sich versteckt gehalten und nachts ihr Essen bei den Schlafenden zusammengestohlen hatte.
    Klaschka sogar hatte zu Forster gesagt, als er Milda bei ihr abgeliefert hatte: »Mein Herzchen, wir setzen uns da eine Laus in den Pelz, haben wir das nötig?«
    Und er hatte leise geantwortet: »Ich möchte ja nur, daß sie sicher dahinkommt, wohin sie will.«
    Wohin aber wollte sie? Abspringen in der Taiga, hatte sie gesagt. Irgendwo. Die Welt ist groß. Es wird darin einen Platz geben, wo man ruhig leben kann.
    Wo kam sie her? Aus Swerdlowsk? Dort hatte sie lauernd auf dem Bahnsteig gestanden und war den Zug angesprungen wie eine Wildkatze. Sie sah nicht aus, als habe sie in der großen Stadt Swerdlowsk gewohnt. Was treibt einen Menschen wie Milda, sich ausgerechnet im Transsibirien-Expreß zu verkriechen?
    »Sie sieht gar nicht aus wie eine Hure.« Das sagte Karsanow plötzlich, und es war ein Satz, der Forster wie ein Faustschlag traf. »Ja, das ist es! Trotz Schminke und Hinternwackeln … sie sieht nicht so aus! Und mir ist das gleich aufgefallen.«
    »Haben Sie eine solch große Praxis im Umgang mit Dirnen?« fragte Forster anzüglich.
    »Sie werden mich nicht mehr provozieren, Werner Antonowitsch! Selbst ein Mann wie ich, der seiner Ehefrau treu ist und solche Weiber verachtet, hat einen angeborenen Blick dafür!«
    »Vielleicht, weil Milda gerade erst anfängt? Es ist ihre erste Fahrt! In zwei Jahren wird sie anders aussehen! Dann schnalzen Sie mit Finger und Zunge!«
    »Nein, nein!«
    Karsanow schüttelte den Kopf. Bedächtig zerdrückte er den kleinen Rest der Zigarette am Rand des Aschenbechers unter dem Abteilfenster.
    »Wie sie bei Ihnen hockte, wie sie sich an Sie schmiegte, wie sie fast in Sie hineinkroch – das war anders! Warum hatte sie Angst? Hätte Klaschka Angst gehabt vor der Miliz? Selbst wenn sie den halben Zug beklaut hätte? – Aber Ihr Vögelchen – nehmen wir einmal an, es sei wirklich unschuldig im Sinne des Diebstahls – schrumpft vor Angst zusammen, wenn es eine Uniform sieht.«
    »Es gibt Menschen, die vor einer Uniform eine fast heilige Scheu haben. Ich hatte eine Tante in Gelsenkirchen, die selbst den Gasmann wie einen

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