Transsibirien Express
sie zugestiegen ist.«
Milda und Klaschka flüsterten miteinander, ein paarmal schüttelte Milda den Kopf, aber Klaschka redete unentwegt auf sie ein.
»Das ist nicht wahr!« sagte Karsanow.
»Haben Sie es gesehen, Pal Viktorowitsch? Sie lagen im Bett und haben geschnarcht wie ein Bernhardiner!«
»Ich kenne mich mit Bernhardinern nicht aus!« konterte Karsanow. »Aber Sie waren wach? Saßen am Fenster und beobachteten die Nacht! Wem wollen Sie das erzählen?«
»Ihnen und jedem, der es hören will. Ja, ich habe sogar am Fenster gestanden, als wir uns Swerdlowsk näherten. Ich wollte diese Stadt sehen, diese Gegend, in der Tausende von deutschen Kriegsgefangenen verreckt sind …«
»Was sagen Sie da, Werner Antonowitsch?«
Karsanows Stimme wurde gefährlich leise, lauernd. Er streckte den Kopf vor wie ein Adler, der zuhacken will. »Wiederholen Sie das.«
»Wenn es Ihnen so gut im Ohr klingt! Ich habe auf Swerdlowsk gewartet, weil dort mein Vater in einem Lager saß. Sechseinhalb Jahre! Zuerst zum Tode verurteilt, dann zu lebenslanger Haft begnadigt, dann zu fünfzehn Jahren …«
»Ein Kriegsverbrecher!«
»Sein Verbrechen war, als Kommandant einer deutschen Versorgungseinheit die Truppe mit Nachschub versorgt zu haben. Begründung des sowjetischen Militärgerichts: Der Hauptmann Leo Forster hat dadurch in hohem Maße bei der Vernichtung der Sowjetunion mitgeholfen …«
»Ein klarer Spruch!« brüllte Karsanow.
»Nach dieser Terminologie wäre jeder Soldat ein Verbrecher!«
»Jeder deutsche Soldat – selbstverständlich! Und deshalb standen Sie am Fenster?«
»Mein Vater kam aus Swerdlowsk als Wrack heim. Er hat sich nie wieder erholt. Er hat mir erzählt, daß in den sechseinhalb Jahren über …«
»Keine Zahlen, Werner Antonowitsch! Keine maßlosen Lügen! Oh, ich erkenne Sie jetzt! Sie gehören jener verfluchten Generation an, die von ihren Vätern zum Revanchismus angestiftet worden ist! Zum Chauvinismus gegenüber einer friedfertigen Sowjetunion!«
»Wenn mein Vater über Rußland sprach, hat er nie gelogen. Dazu saß dieses Rußland zu tief in seiner Seele. Er ist daran zerbrochen, aber irgendwie liebte er es doch! Warum, das konnte er selbst nicht erklären. Was er in Swerdlowsk erlebt hat, ist nie aus seinen Träumen gewichen, bis zu seinem Tode nicht. In jeder Stunde seines kurzen Lebens danach wurde er von diesen sechseinhalb Jahren umklammert … Ist das kein Grund, nachts am Fenster zu stehen und auf Swerdlowsk zu blicken?«
»Wir hatten über siebzehn Millionen Tote«, sagte Karsanow dumpf. »Wir Russen dürften danach überhaupt nicht mehr schlafen! Aber wir schlafen! Es ist immer nur der deutsche Geist, der Unruhe verbreitet.«
»Vielleicht kommt es daher, daß Menschenopfer in Rußland zum Alltag gehörten? Hier rechnet man mit Menschen einfach … in anderen Dimensionen!«
»Das hätten Sie nicht sagen dürfen, Werner Antonowitsch!« erwiderte Karsanow schwer atmend. »Das hebt praktisch Ihren Status als Gast der Sowjetunion auf. Sie verhöhnen, bespucken und beleidigen mein Vaterland! Menschenopfer? Sind wir Kannibalen? Kein Land der Erde hat nach dem Krieg solche Leistungen vollbracht wie die Sowjetunion! Unsere Schulen sind vorbildlich, der industrielle Aufbau gleicht einer Explosion, wir haben die besten Ärzte und Wissenschaftler. Unsere Universitäten sind führend in der Kybernetik und Mathematik! Wir sind der unabhängigste Staat der Welt, und wir waren die ersten im Weltraum! Und da kommt so ein kleiner deutscher Ingenieur daher und will uns bespucken! Das werden Sie zu verantworten haben, Werner Antonowitsch!«
»Ich sprach von dem Rußland, das mein Vater erlebte, Karsanow.«
»Er kam als Eroberer, als Zerstörer! Und dieser Geist lebt auch in Ihnen!«
Karsanows Finger stießen wie Speerspitzen gegen Forster.
»Wir haben in Irkutsk Aufenthalt. Ich werde dafür sorgen, daß man Ihre Äußerungen protokolliert!«
Plötzlich erstarrte Karsanow, und sein Mund blieb offen stehen. »Was ist denn das?« stotterte er, völlig außer Fassung. »Was soll diese Verrücktheit? Das ist ja unerhört!« Klaschka hatte mit sichtbarem Genuß begonnen, sich auszuziehen. Sie hatte ihre Bluse schon über den Kopf gestreift, und ihre großen Brüste lagen fast frei, nur notdürftig bedeckt und gehalten von einem viel zu kleinen Büstenhalter.
Milda tat es ihr nach, nur zögernder. Sie hatte den Stepprock aufgeknöpft und ließ ihn, schamhaft noch, zu Boden fallen. Darunter trug
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