Transsibirien Express
inhalierte den für ihn zu süßlichen Tabak. »Wann ziehen wir los?«
»Das überlasse ich Ihnen. Ich verspreche mir sowieso nichts davon.«
»Wir könnten Glück haben …«
»Der Mörder wird sich wehren.«
»Natürlich!«
Karsanow erhob sich, holte seine Aktentasche aus der Gepäckablage und entnahm ihr einen länglichen Gegenstand. Er sah aus wie ein dicker Füllfederhalter, hatte sogar einen Klipp, um ihn sich in die Jackentasche zu klemmen, schimmerte matt verchromt und besaß nur den Nachteil, die Tasche, in die man ihn steckte, auszubeulen.
Forster beobachtete Karsanow interessiert.
»Ich glaube kaum«, sagte er sarkastisch, »daß sich unser Mörder ergibt, wenn Sie ihn mit Tinte bespritzen.«
»Fragen Sie nicht soviel, Werner Antonowitsch.« Karsanow steckte den angeblichen Füllfederhalter in die Brusttasche seiner Jacke. »Sie werden zur rechten Zeit informiert.«
Werner Forster starrte auf das verchromte Ding und alles, was er einmal von sowjetischen Agenten gehört hatte, kam ihm ins Gedächtnis. Begriffe purzelten durch seinen Kopf; Bilder, die er in den Zeitungen und Illustrierten gesehen hatte; Liquidationen unbequemer Exilrussen und Polen, Kroaten oder Tschechen.
War das die höllische Erfindung der Geheimdienste, lautlos, schnell und gründlich einen Menschen zu beseitigen?
Und dieser Karsanow saß so ruhig da, mit dem ›Füllfederhalter‹ in der Jacke … Das war nur schwer zu begreifen.
»Ich weiß jetzt, was es ist –«, sagte Forster stockend. »Kein Füllfederhalter, sondern die berühmte Blausäure-Pistole! Ein Teufelsding …«
Karsanow schien sich nicht im geringsten darüber aufzuregen. Er schüttelte nur den Kopf.
»Mit Ihrer Phantasie hätten Sie nicht Bergwerksingenieur, sondern Märchenerzähler werden sollen«, sagte er ruhig. »Natürlich ist es ein Füllfederhalter.«
»Auf der einen Seite! Daneben aber ist der Lauf mit der Blausäuremine. Der Klipp ist gleichzeitig Spann- und Abschußvorrichtung. Ich habe davon Bilder im Detail gesehen.«
»Also – gehen wir!« Karsanow stand auf. Die Zigarette war aufgeraucht, er zerdrückte sie im Fensteraschenbecher. »Ich will den Kollegen von der Miliz wenigstens einen Teilerfolg unter die Nase halten, wenn sie zusteigen.«
Er schob die Tür wieder auf, und Mulanow, der auf dem Gang wartete, nahm stramme Haltung an.
»Alles ruhig im Zug«, meldete er.
Draußen flogen in der schneedurchwehten Dunkelheit einige Dörfer vorbei. Die Taiga belebte sich, man näherte sich bewohnteren Gegenden.
Irkutsk und der Baikalsee kündigten sich an.
Riesige Holzstapel aus Rundstämmen und Brettern unterbrachen die Eintönigkeit. Die großen Sägewerke an der Bahnlinie, früher die Sammelplätze der Verbannten, die hier in Lagern wohnten und sich mit Axt und Säge in den Wald fraßen, tauchten auf.
Holz und Pelze waren der erste Reichtum Sibiriens, bis man das Öl entdeckte, das Erz, das Gold, die Diamantenminen.
Dann bändigte man die riesigen Ströme durch Staudämme. Elektrizität für Millionen wurde erzeugt … für die Eroberung des reichsten Landes der Welt.
»Schlafe«, sagte Werner Forster zu Milda. Er legte sie wie ein Kind aufs Bett und deckte sie wieder zu. »Du mußt jetzt schlafen …«
»Wie kann ich schlafen, Wernuschka …«
Es war das erstemal, daß sie seinen Namen in einer russischen Koseform aussprach. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und hielt ihn fest.
»Wir haben noch viel vor uns, Mildaschka«, sagte er zärtlich und küßte sanft ihre Augen. »Dieser Mord ist nur ein Aufschub. Karsanow vergißt uns nicht. Hinter Irkutsk wird er sich wieder mit uns beschäftigen.«
»Und wenn ich in Irkutsk aussteige?«
»Jeder, der aussteigt, wird von der Miliz untersucht werden.«
»Ich bin in den Zug gesprungen, ich kann auch wieder abspringen …« Sie klammerte sich an Werner fest. »Klaschka hätte mich beschützt … wer beschützt mich jetzt?«
»Bin ich nicht da?«
»Du bist ein Deutscher! Was kannst du in Rußland tun?«
»Das wird sich herausstellen. Ich habe schon einige Pläne.«
Karsanow steckte den Kopf ins Abteil.
»Werner Antonowitsch«, rief er. »Ich weiß, daß die Umstände Sie daran gehindert haben, mit Ihrer Milda zu schlafen. Sie brauchen deshalb nicht zu verzweifeln. Klaschkas Bett ist frei geworden, Milda Tichonowna kann von mir aus umziehen!«
Forster riß sich los und kam in den Gang hinaus.
Mulanow grinste schief. Man sollte diesen Karsanow aus dem Zug werfen, hieß dieser
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