Transsibirien Express
wunderte das? dachte Mulanow blitzartig. So ein prächtiges, pralles Weib wie Klaschka mußte ja auch mehr Blut haben als andere Menschen …
»Tun Sie das!« sagte Karsanow, als kommandiere er eine Kompanie. »Wir werden fürs erste allein hier fertig.«
Der Schaffner rannte davon. Er legte eine Geschwindigkeit an den Tag, als hetze der Mörder leibhaftig hinter ihm her.
Karsanow drückte langsam die Türklinke herunter; dabei blickte er Werner Forster an.
»Machen Sie sich nicht auch noch die Hose voll!« sagte er, aber seine Stimme war plötzlich rostig geworden.
Auch für einen KGB-Offizier ist der Anblick eines Ermordeten nicht gerade ein Vergnügen – vor allem für Karsanow nicht!
Er konnte sich nicht daran gewöhnen, Tote anzuschauen. Es kam ab und zu vor, daß sich Verhaftete in den Zellen des Ljubljanka-Gefängnisses erhängten … aber immer hatte Karsanow ein dumpfes Gefühl im Magen, wenn er in Ausübung seines Dienstes dann den Erhängten besichtigen mußte.
In jedem Beruf, Genossen, gibt es Schattenseiten.
»Ich habe einmal nach einem schlagenden Wetter aus einer Ruhrzeche neunzehn Verschüttete herausgeholt –«, berichtete Werner Forster.
Dann legte er seine Hand fest auf Karsanows Hand und drückte die Klinke herunter.
Die Tür schwang auf.
Zuerst sahen sie nur das Blut auf dem Kachelboden … dann erst fiel ihr Blick auf Klaschka. Sie sah wirklich so aus, daß es einem Mann auf den Darm schlagen konnte.
Karsanow schluckte. »Bestialisch …«, stammelte er schließlich.
Über den Gang kam Vitali Diogenowitsch gelaufen.
Da er dienstfrei hatte, trug er auch einen gestreiften Schlafanzug. Er hatte keine Zivilhose darübergezogen wie Karsanow, er hatte sich auch die Haare nicht gekämmt. Trotzdem – für einen dienstfreien Menschen war er durchaus korrekt angezogen.
»Das ist doch nicht möglich!« stotterte auch er. »Das ist doch nicht möglich! In meinem Zug! Ich armer geschlagener Mensch!«
Er warf einen Blick in die Toilette, verfärbte sich grünlich und taumelte gegen die Wand des Ganges.
Karsanow verzog den Mund zu einem bitteren, bösen Grinsen. Auch ihm war der Anblick tief ins Herz gefahren, er fühlte sich frostig bis unter die Hirnschale.
Die Toten im Krieg, – man hatte sich damals daran gewöhnt und nahm die Verwundungen gar nicht mehr tragisch. Die Toten in den Zellen, – sie sahen wenigstens noch menschlich aus.
Aber was hier lag und Klaschka Iwanowna Pletjewa sein sollte, das überstieg selbst die Stärke eines Karsanow.
Hier mußte ein wildes Tier in Menschengestalt gewütet haben, oder ein Mann in einem wahren Blutrausch, der immer und immer wieder zugestochen und dabei seine Befriedigung gefunden hatte.
»Wir sollten nichts berühren, bis Ihre Spezialisten in den Zug kommen«, sagte Forster heiser.
»Natürlich nicht!« Karsanow starrte auf das leblose Bündel Mensch, das einmal die schöne Klaschka gewesen war.
»Wer kann bloß so etwas tun?«
»Das fragt man sich oft, Pal Viktorowitsch.«
»Werden Sie nicht gleich wieder politisch!«
»Ihr Russen mit eurer Empfindsamkeit! Habe ich so etwas angedeutet?«
»Ihr Unterton, Werner Antonowitsch! Immer anklagend!« Karsanow blickte den Gang hinunter.
Mulanow war zurückgekommen. Er hatte sich etwas beruhigt, während Vitali noch einige Zeit brauchte, um den grauenhaften Anblick der Erstochenen zu verkraften.
»Irkutsk ist benachrichtigt«, meldete Mulanow. »Mein Kollege Wladlen Ifanowitsch sitzt noch im Funkabteil und hält Verbindung zur Miliz. Sie wollen uns entgegenkommen und zusteigen. Wenn der Zug erst in Irkutsk einläuft und Reisende aussteigen, ist keine Kontrolle mehr möglich. Dann kann auch der Mörder weg sein!«
»Sehr klug!« Karsanow warf noch einen Blick auf Klaschka. Der Mörder hatte ihr das Kleid bis zum Hals hochgerissen und immer wieder mit einem Messer auf sie eingestochen.
Man würde untersuchen müssen, wie es geschehen war; man würde den Vorgang, so gut es ging, zu rekonstruieren versuchen. Logisch war zunächst die Annahme, daß Klaschka in Ausübung ihres Gewerbes einen Kunden auf der Toilette empfangen hatte und dabei an eine Bestie geraten war.
Karsanow warf die Tür zu und winkte den Zugführer energisch heran.
»Verriegeln! Und ein Schild malen. ›Wegen Reparaturarbeiten gesperrt!‹«
»Sofort, Genosse Oberst!« stammelte Vitali, stieß sich von der Wand ab und rannte davon.
Nur weg von hier, dachte er.
Klaschka, unser liebes Täubchen, so witzig und so
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