Transsibirien Express
das Schreiben des Moskauer Ministeriums hin.
Karsanow drängte sich an Plotkin vorbei und setzte sich auf sein zerwühltes Bett.
»Das ist Werner Antonowitsch«, sagte er leise, um Milda nicht zu wecken.
Verblüfft steckte Forster seine Papiere wieder ein, denn Plotkin hatte großzügig abgewunken.
»Wir sind Freunde, ich sagte es schon, Genosse«, sagte Karsanow.
»Und das ist Milda?« fragte Plotkin.
Karsanow wedelte mit beiden Händen durch die Luft. »Dämpfen Sie Ihre Stimme, Stepan Petrowitsch. Sie schläft …«
»Das sehe ich! Aber ich möchte, daß sie wach wird!«
»Warum?«
»Vielleicht kann sie mir etwas über Klaschka erzählen.«
»Bestimmt! Aber davon bekommen Sie nicht den Mörder! Wollen Sie Klaschkas Hurenlaufbahn aufrollen? Der Mörder sitzt nicht in Swerdlowsk oder Wladiwostok, sondern hier im Zug! Und Milda ist seit Anbruch der Dunkelheit hier im Abteil. Das stimmt doch, Werner Antonowitsch?«
»Der Genosse Oberst hat recht.« Forster blickte Karsanow entgeistert an. »Wir alle sind von Mulanows Meldung aufgeschreckt worden!«
Milda bewegte sich, seufzte piepsend im Schlaf und drückte ihren Kopf in Forsters Schoß. Ein Tierchen, das Schutz und Wärme sucht.
Karsanow legte den Zeigefinger auf die Lippen. »Stepan Petrowitsch, reden Sie bitte leiser!«
Plotkin kratzte sich wieder den Haaransatz. Was soll man tun? dachte er. Er ist ein Oberst vom KGB! Ich kann ihn doch nicht anschnauzen.
Aber was bildet er sich ein? Wer führt hier die Untersuchung? Wer entscheidet, wen man sprechen soll? Wenn ich diese kleine Hure verhören will, dann will ich es!
Doch – um des allgemeinen Friedens willen – verzichten wir darauf! Es würde doch nur endlose Diskussionen geben.
Aber beschweren werde ich mich! Das bin ich meiner Position als Hauptmann der Miliz schuldig!
»Wo versteckt sie ihr Geld?« fragte Plotkin giftig und zeigte auf die Schlafende.
Die Frage überraschte Karsanow so, daß er keine Antwort darauf wußte.
»Zwischen den Brüsten!« entgegnete Forster ruhig. »Ein sicherer Ort … und ich halte meine Hände darüber!«
Mit einem knurrenden Laut verließ Plotkin das Abteil und schob die Tür zu.
Karsanow streifte seine Schuhe ab und legte sich aufs Bett.
»Wirklich Klaschka?« fragte Forster leise.
»Ja …«, antwortete Karsanow knapp.
»Warum haben Sie das getan?«
Karsanow zuckte, wie von der Tarantel gestochen, hoch. Um ein Haar hätte er sich wieder gegen den Kopf gestoßen. »Sind Sie total verrückt?« bellte er.
»Pal Viktorowitsch, doch nicht Klaschka! Ich meine, warum haben Sie sich vor Milda und mich gestellt?«
Karsanow ließ sich von neuem zurück in die Kissen fallen. »Haben Sie eine Zigarette für mich?« fragte er nur.
»Natürlich!«
Forster holte vorsichtig, damit Milda nicht aufwachte, eine Packung aus der Jackentasche und warf sie Karsanow zu. Dann folgte das Feuerzeug.
Karsanow steckte sich bedächtig eine Zigarette an und rauchte eine Weile schweigsam.
»Sie haben mich Ihren Freund genannt!« meinte Forster nach einer Weile.
»Das war nur eine Floskel.«
»Sie haben Mildas Schlaf verteidigt wie ein Vater. Ich bin erstaunt, Pal Viktorowitsch!«
»Das ist alles kein Rätsel«, sagte Karsanow ruhig. Er blickte dabei den kleinen Rauchwolken nach. »Ich wollte verhindern, daß Plotkin in Irkutsk Milda aus dem Zug holt. Ihre Unbekannte von Swerdlowsk ist mein Fall! Den habe ich mir aufgespart!«
Das war leicht dahingesagt, aber Forster wußte, welch ein gefährlicher Ernst dahintersteckte. Karsanow blieb immer der gleiche – er konnte sich nur verändern wie ein Chamäleon seine Farbe …
»Ich habe einen Augenblick lang für Sie Sympathie empfunden, Karsanow«, sagte Forster jetzt scharf. »Bitte, entschuldigen Sie meine Verirrung! Sie bleiben ein Widerling!« Die Fronten waren wieder klar.
Vor den Fenstern tauchten die ersten Vororte von Irkutsk auf.
IX
Zum ersten Mal in all den Jahren, seit der Transsibirien-Expreß in Irkutsk hielt, war der Bahnsteig durch Milizsoldaten hermetisch abgeriegelt.
Nur wenigen Menschen fiel das auf. Durch die große Verspätung, die der Zug hatte, war es jetzt schon früher Morgen, eine Zeit, in der alles noch schlief.
Die Arbeiterzüge fuhren erst in zwei Stunden; das Leben in dieser Riesenstadt an der Angara war noch nicht erwacht.
So standen nur die paar Reisenden herum, die in den Expreß zusteigen wollten. Sie froren, sie hatten sich über die stundenlange Verspätung ausgeflucht und wurden nun
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