Transzendenz
seiner Türschwelle zu. Aber diese frühen Wohltäter, die in die Fußstapfen von Rosa und anderen traten, stellten fest, dass ihre Bemühungen nicht erwünscht waren. »Das Riff war eine Heimat geworden«, sagte Rosa, »ein Lebensstil.« Danach wählten die Behörden eine subtilere Herangehensweise. Die Polizei arbeitete behutsamer daran, ihre Präsenz zu etablieren, und mit dem Geld des Patronats wurde eine elementare menschliche Infrastruktur aufgebaut, Schulen, Krankenhäuser und dergleichen.
»Aber die lokale Ökonomie ist noch dieselbe«, sagte Rosa beinahe stolz. »Und die Ökologie auch. Die Menschen leben vom Müll – und zwar nicht nur vom Rattenbraten.«
Sie sagte, genmanipulierte Bakterien seien auf das Riff losgelassen worden. Öl fressende Kleinstlebewesen arbeiteten sich durch den Inhalt der leckenden Motorblocks und Kraftstofftanks in dem Hügel unter mir und spalteten Altöl und Benzin in nützlichere Kohlenwasserstoffe und andere Chemikalien auf. Andere Kleinstlebewesen verschlängen Polyurethan-Kunststoffe und andere »nicht biologisch abbaubare« Komponenten der Autoleichen. Selbst Wasserstoff könne geerntet werden, sagte sie. Überall am Fuß des Riffs seien Auffanganlagen an den Mündungen von Drainagesystemen eingerichtet worden, die diesen wiedergewonnenen Schatz sammelten. »Alles sehr modern, findest du nicht? Wir leben in einem Zeitalter der Handelsspannen, in dem mit der Wiederaufbereitung des Abfalls reicherer Zeiten Geld zu verdienen ist.«
Da die spanischen Bevölkerungszahlen weiterhin im steilen Sinkflug begriffen waren, hatte es ein nahe liegendes Motiv für die Gründung dieser Gemeinschaft gegeben: Die Riff-Familien waren für die Zeit ungewöhnlich fruchtbar, und es liefen zahlreiche Kinder herum, Kinder, die dafür eingesetzt werden konnten, das Gemeinwesen insgesamt funktionsfähig zu erhalten.
Nach einem umfangreichen Einbürgerungsprogramm waren manche Riff-Babys zu Anwälten, Ärzten, Ingenieuren und Politikern herangewachsen. Viele waren in gesündere Landesteile oder sogar ins Ausland gezogen, um dort zu leben und zu arbeiten – aber nicht alle; einige waren geblieben, um für die seltsame Gemeinschaft zu arbeiten, die sie großgezogen hatte. Mittlerweile, sagte Rosa, sei das Riff in die spanische Gesellschaft integriert. Es habe sogar eine Postleitzahl.
Etwas krabbelte über meinen Fuß, und ich schreckte hoch. Es war ein Insekt. Ich bückte mich und packte es mit Daumen und Zeigefinger. Es sah wie ein Käfer aus, aber sein Panzer hatte einen unbekannten blaugrünen Schimmer; so etwas hatte ich noch nie gesehen. Ich zeigte es Rosa.
»Behalte es. Könnte eine neue Art sein.«
»Wirklich?«
»Müllhalden sind die modernen Wiegen der Evolution.«
Ich versuchte zu ergründen, weshalb dieser Ort eine solche Faszination auf Rosa ausübte. »Du redest immer vom Riff -Ökologie, Evolution, Nahrungsketten –, als wäre es ein großes Ökosystem. Und als wären die Menschen hier selbst ein Teil des Ökosystems, nichts als eine weitere Art von Müllverwertern.«
Einen Moment lang schaute sie stumm auf die metallenen Hänge des Riffs hinaus. Ich hatte Zeit, die Küchendünste wahrzunehmen, ein Aroma von heißer Butter und Meeresfrüchten.
»Ein Ökosystem«, sagte Rosa langsam. »So ist es. Jetzt, wo der Staat hierher gekommen ist, hat dieser Ort in gewissem Sinn einen Teil seiner Faszination für mich verloren. Es ist sicherer, ja, und die Lebenserwartung ist in die Höhe geschossen. Aber es ist nicht mehr so interessant…«
Schon bei ihrem ersten Besuch hier, sagte sie, sei dieser Ort nicht so gesetzlos gewesen, wie sie befürchtet habe.
»Ich stellte mir vor, dass hier entweder schlichtes Chaos herrschte oder dass Gangster und Kriegsherren – irgendwelche Häuptlinge – primitive Macht auf der Basis von Drohungen und Einschüchterung ausübten. Das alles gab es natürlich in rauen Mengen. Aber das Riff war von Anfang an zu groß, als dass man es auf diese Weise hätte regieren können. Und die Flüchtlinge waren keine homogene Masse; sie kamen grüppchenweise aus aller Herren Länder hierher. Man konnte wahrscheinlich mit seinen Nachbarn sprechen, aber nicht mit jemandem auf der anderen Seite des Hügels. Ohne Kommunikation war zentralisierte Macht unmöglich. Niemand wusste, was vorging; niemand hatte alles im Griff.«
Stattdessen, sagte sie, habe die entstehende Gemeinschaft sich selbst organisiert.
Wenn man im Riff arbeitete und zu überleben versuchte,
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