Transzendenz
machen wir also weiter. Ich befürchte ein wenig, dass du von deinem wahren Ziel abgelenkt wirst, Alia.«
Ausdruckslos erwiderte sie seinen Blick. »Was kümmert dich das? Hast du nicht gesagt, es sei meine Aufgabe, meinen eigenen Weg in die Transzendenz zu finden? Genau daran arbeite ich.«
»Du hast einen Vorgeschmack von der Transzendenz bekommen, aber du bist immer noch allein, immer noch Alia. Und es ist Alias Neugier, die du befriedigst. Wenn du dich der Transzendenz nur hingäbest, würden all deine Zweifel und Fragen fortgespült werden. Das habe ich schon oft erlebt.« Mit diesen Worten wollte er sie offensichtlich beruhigen, und vielleicht wäre ihm das früher einmal auch gelungen, doch nun erschreckten sie seine nichts sagenden Versicherungen. »Und außerdem«, fuhr er fort, »bist du sicher, dass deine Fragen wirklich aus deinem eigenen Herzen kommen? Vergiss nicht, die Campocs haben dich erpresst, diese ganzen Fragen über die Erlösung zu stellen.«
»Die Methoden der Campocs waren primitiv und brutal«, sagte sie kalt. »Aber die Fragen, die sie aufgeworfen haben, sind begründet. Ich möchte all meine Zweifel ausgeräumt wissen, Reath, bevor die Transzendenz mich verschluckt. Ist das so schwer zu verstehen?«
Reath machte ein finsteres Gesicht. »Deine Ausdrucksweise -›verschluckt‹ – ist unangemessen. Die Transzendenz ist eine Steigerung, keine Verminderung.«
Aber ich wäre lieber allein und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, dachte Alia düster, als Teil eines riesigen Wahnsinns zu sein. Ich muss Gewissheit haben. Aber das konnte sie Reath natürlich unmöglich sagen.
Die Lauscher schienen sich allmählich an die Anwesenheit der Besucher zu gewöhnen. Sie huschten in dem Raum hin und her, und ihre riesigen Augen fingen das Flackern der Laserstrahlen ein.
Drea starrte sie angewidert an. »Das ist ein schrecklicher Ort.«
Auf einmal fühlte Alia sich eingesperrt, gefangen, begraben unter diesem riesigen Hügel aus von Tunnels durchzogener Erde. Sie wandte sich an Reath. »Lass uns von hier verschwinden…«
Berra schnappte nach Luft. Sie streckte die Hand nach Alia aus, die zurückwich.
Reath fasste Alia am Arm. »Versuch, ruhig zu bleiben«, sagte er leise. »Verstöre sie nicht noch mehr. Sie muss uns hier herausführen, bevor…«
»Bevor was?«
»Bevor sie ihre letzte Pflicht gegenüber dem Schwarm erfüllt.«
»Was für eine letzte Pflicht? Was ist los mit ihr?«
»Merkst du das nicht? Sie muss uns hier festhalten, solange sie kann. Sie braucht dich, Alia.«
Berra war mit der Anlage zur Intelligenz geboren. Aber sie hatte wahrscheinlich niemals ein echtes Ichbewusstsein besessen – nicht, bevor Alia gekommen war.
»Weil es am besten ist«, sagte Alia langsam, »wenn eine Drohne nicht weiß, dass sie eine Drohne ist.«
»Ja. Deshalb verlieren die Drohnen in den meisten Schwärmen ihr höheres Erkenntnisvermögen. Aber es gibt Umstände, unter denen Intelligenz von zu großem Nutzen ist, als dass man ganz und gar auf sie verzichten könnte – zum Beispiel, wenn die Koaleszenz angegriffen wird oder umziehen muss.«
»Oder wenn eine designierte Transzendentin kommt und Fragen stellt«, sagte Alia.
»Ja. Berra hat Pech gehabt, Alia. Sie war einfach zufällig die nächste Kontaktperson, als wir uns gemeldet haben. Gut möglich, dass sie nicht einmal unsere Sprache beherrscht hat, bevor sie gebraucht wurde. Wahrscheinlich hatte sie vorher nicht einmal einen Namen, denn für sie war es besser so. Es ist so ähnlich, als wäre sie in dem Moment, als du durch die Tür gekommen bist, zum ersten Mal in ihrem Leben aufgewacht.«
»Aber jetzt gehen wir«, sagte Alia. »Sie kann wieder zu ihrer alten Seinsweise zurückkehren. Oder nicht?«
Reath schüttelte den Kopf. »Berra hat dem Schwarm gute Dienste geleistet, Alia. Aber jetzt weiß sie zu viel: Sie weiß, wer sie ist, dass sie eine Drohne ist. Und sie kann nirgendwo anders hin. Sie wird tot sein, Alia, bevor wir den Planeten verlassen.«
Alia sah Berra entsetzt an. Die kleine Drohne schien in sich zusammenzufallen, als implodiere sie; sie starrte Alia immer noch an. Alia konnte es nicht ertragen. Sie skimmte fort, einfach weg von hier, heraus aus dem tiefsten Innern des Schwarms.
Dann stand sie erneut auf der rostigen Ebene. Sie riss sich die Gesichtsmaske herunter und sog die staubige Luft ein.
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Während wir zusammen mit Ruud Makaay daran arbeiteten, EIs Beteiligung an unserem Gashydrat-Projekt Substanz
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