Transzendenz
zu verleihen, logierten Shelley und ich als Gäste von EI in einem etwas verblichenen Grandhotel in Palm Springs. Seine Außenwände waren mit Nano-Farbe gestrichen, sodass es im trockenen Sonnenschein wie eine riesige, komplizierte Christbaumkugel glitzerte. Im Innern gab es einen gigantischen Pool und eine noch größere Bar, in der ein Roboterpianist dezent Chopin spielte. Aber keine Gäste.
Shelley hatte wie immer viel zu tun. Sie arbeitete täglich acht oder neun Stunden, teilweise mit Makaay und dem EI-Personal. Sie hielt jedoch auch Verbindung zu Kunden, Lieferanten und Kontaktleuten in aller Welt, und die neun Arbeitsstunden verteilten sich willkürlich auf alle vierundzwanzig. Sie arbeitete in ihrem Badeanzug oder einem hoteleigenen flauschigen Morgenmantel in der kleinen CAD-Kabine des Hotels, umgeben von VR-Besuchern, geisterhaften Schaltplänen oder originalgetreuen Nachbildungen komplizierter mechanischer Bauteile. Sie besaß die bewundernswerte Fähigkeit, um drei Uhr morgens voll einsatzfähig zu sein und um vier Uhr nachmittags ein Nickerchen zu machen.
Also verbrachte ich ziemlich viel Zeit allein. Der Hochsommer stand vor der Tür, es war Nebensaison, und über Palm Springs lag eine Atmosphäre von widerhallender Leere. Der Reichtum und die hervorragende Verkehrs-Infrastruktur, die den Ort im zwanzigsten Jahrhundert groß gemacht hatten, waren den Weg alles Irdischen gegangen und hatten ein glitzerndes Relikt in der Wüstenluft zurückgelassen. Für mich war das nicht so schlimm. Ich fühlte mich, als hätte ich eine Menge durchgemacht, und das große, entvölkerte Palm Springs eignete sich gut, um die Anspannung loszuwerden. Wenn ich Golf gespielt hätte, wäre ich hier genau am richtigen Ort gewesen, dachte ich; die Robot-Profis hätten mich jedes Mal gewinnen lassen.
Shelley und ich verbrachten allerdings viel freie Zeit miteinander. Wir aßen, schwammen, gingen spazieren und unterhielten uns. Ich hatte Shelley schon immer gemocht. Sie war kompetent, engagiert, humorvoll, zufrieden mit ihrem Leben und ihrer Arbeit – ein Mensch, wie ich es immer gern gewesen wäre. Und ich glaube, sie mochte mich auch, obwohl ich im Vergleich zu ihr eine Niete war – niemals zuverlässig, immer ein bisschen abgedreht. Aber ich war auch »nie um eine Idee verlegen«, wie sie manchmal zu sagen pflegte. Man brauchte jemanden in seiner Umgebung, der den Impuls gab, etwas zu tun, und so jemand war ich – wie es unser Hydrat-Stabilisierungsprojekt bewies.
Ein Leben mit der vernünftigen, engagierten, lebendigen Shelley wäre ganz bestimmt gut für mich gewesen – wenn auch nicht immer für sie. Aber daraus würde nichts werden, denn wie sie selbst gesagt hatte, war Morag immer da, sie gehörte wohl oder übel zu mir wie mein rechter Arm, und es hatte keinen Zweck, etwas anderes vorzutäuschen. Manchmal bedauerte ich es. Ich glaube, Shelley bedauerte es auch ein wenig. Aber unsere Beziehung hatte ihren Platz in meinem theoretischen Spektrum der Möglichkeiten. So war es nun mal.
Ich sprach ein paar Mal mit Rosa in Sevilla. Sie »grub alte Gespenstergeschichten aus«, erzählte sie mir ein bisschen geheimnisvoll. Manchmal war sie mir selbst ein wenig unheimlich: Hinter ihrem kleinen, von den VR-Systemen des Hotels so akkurat reproduzierten Gesicht glaubte ich die schattenhaften Konklaven des Vatikans zu erspähen, riesige Berge des Wissens, die sich seit zwei Jahrtausenden angehäuft hatten – und vielleicht noch seltsamere Archive.
Nach sieben Tagen holte Ruud Makaay uns wieder in seine Mojave-Zentrale, wo er, wie er sagte, ein Seminar über unsere Vorschläge veranstalten würde.
Wir versammelten uns in einem Konferenzraum auf dem EI-Gelände. Der Raum selbst war ein Würfel mit durchsichtigen Wänden. Es gab einen langen Tisch mit einem Dutzend Stühle, augenscheinlich eine nahtlose Mischung aus echten und per VR projizierten. Das war alles; der Raum wirkte unfertig, wie eine Skizze. Aber in einer virtuellen Ökonomie protzte man mit seinem Reichtum, indem man ihn umso weniger zur Schau stellte.
Makaay, Shelley und ich waren die einzigen Teilnehmer in Fleisch und Blut. Tom und Sonia Dameyer wurden hinzuprojiziert. Ich nahm neben Tom Platz, wirklich und unwirklich nebeneinander am selben Tisch. Ich freute mich außerordentlich, ihn zu sehen; ich war immer noch nicht über dieses Erlebnis in Sibirien hinweggekommen, falls es mir überhaupt jemals gelingen würde. Tom schien sich hier jedoch unwohl zu
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