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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
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elektronischen Nervensystem der Welt gerissenen Hohlmeißel vor, Wellen von Schmerz und Schock, die sich kräuselten und sich ausbreiteten, und Scharen künstlicher und menschlicher Berater, die herbeistürzten, um den verwundeten KIs zu helfen, mit ihrem Trauma fertig zu werden. Künstliche Intelligenz gibt es nur ganz oder gar nicht: Wenn man das Denkvermögen will, muss man die Selbstreflexion, die Angst akzeptieren.
    Und es war auch nicht gerade hilfreich, dass, wie man mir geduldig erklärte, die gesamte verfügbare Bandbreite gegenwärtig von den Nachrichten-Networks in Anspruch genommen wurde. Die sibirische Katastrophe, verursacht durch die Explosion eines mir völlig unbekannten so genannten »Gashydratlagers«, schien sämtliche geeigneten Aufhänger für die Nachrichten zu haben: eimerweise Blut, einen gewissen Bezug zur Klimaerwärmung, damit einen bedrohlichen »Wenn das so weitergeht«-Aspekt, und last but not least die von der Detonation betroffenen ausländischen Helfer, eine Reihe fotogener, junger westlicher Opfer.
    Aber das alles nützte mir nichts. Während meine Systeme weiterhin zu Tom durchzukommen versuchten, aktivierte ich zusätzliche Suchagenten, um einen Flug zu buchen.
    Ein Flugticket nach Sibirien – selbst für den einfachen Flug – war geradezu beängstigend teuer. Im Jahr 2047 flog niemand außer den Superreichen und Superwichtigen, oder wenn es unbedingt sein musste. Eine Erdumkreisung in einer Raumflieger-Touristenschleuder war billiger als eine Atlantiküberquerung. Tom hatte die Hinfahrt im Auftrag seiner Organisation zur Bewahrung des genetischen Erbes mit einem Kreuzfahrtschiff absolviert, das wochenlang im Polarmeer herumkroch, eine Reiseform mit viel geringeren Auswirkungen auf die Umwelt, worauf er großen Wert legte. Aber mir ging das zu langsam. Ich musste jetzt dort sein, und dafür würde ich bezahlen müssen. Der Flug nach Florida hatte mich bereits mein letztes Hemd gekostet, aber was sollte ich tun?
    Natürlich war die Buchung des Tickets nur die erste Hälfte des Kampfes. Als Nächstes musste es mir gelingen, wirklich eines Platzes für würdig erachtet zu werden. Das Buchungssystem leitete mich an den Beratungsdienst der Fluglinie weiter, eine Männerstimme, die älter klang als meine, väterlich und streng. »Michael, lassen Sie uns klären, weshalb Sie wirklich fliegen wollen.«
    »Mein Sohn ist verletzt!«
    »Fliegen ist ein generationsspezifischer Wunsch, wissen Sie. In Ihrer Jugend sind Sie wahrscheinlich häufig geflogen, ebenso wie Ihre Eltern. Aber damals haben Sie vielen ungesunden Aktivitäten gefrönt. Das heißt nicht, dass Sie jetzt damit weitermachen sollten.«
    »Ich will nicht fliegen. Ich will nur dorthin.«
    »Kann es sein, dass Sie in Wirklichkeit nicht nach Sibirien wollen, sondern zurück in Ihre Vergangenheit? Kann es sein, dass es Ihnen gar nicht auf das Ziel ankommt, sondern dass Sie einen Fluchtweg suchen, eine Befreiung von den Verpflichtungen der Gegenwart?…« Und so weiter.
    Mein Telefon war implantiert; man konnte also nicht die Sprechmuschel verdecken und sagen, was man wirklich dachte. Deshalb ließ ich Dampf ab, indem ich im Zimmer auf und ab marschierte, während dieser virtuelle Freud mir Vorträge über die Notwendigkeit der »verborgenen Extras« hielt, für die ich bezahlen musste: Kosten für Umweltschäden, Entschädigung für Gemeinschaften, die ich mit dem Fluglärm stören würde, sogar Reinigungssteuern für die Entsorgung des Flugzeugs in ein paar Jahren. All das gehörte zu dem Programm »soziale Verantwortung«, das die Luftverkehrsgesellschaften vor Jahren hatten akzeptieren müssen, um überhaupt im Geschäft bleiben zu dürfen. Aber es war schwierig, sich durch all dies hindurchzuarbeiten.
    »Ich muss mich vor dir in keiner Weise rechtfertigen, was meine Beziehung zu meinem Sohn betrifft«, blaffte ich.
    »Nein, vor mir nicht«, sagte der Empath. »Auch nicht vor der Fluglinie, nicht einmal vor Ihrem Sohn. Aber vor sich selbst, Michael.«
    »Nein«, beharrte ich. »Manchmal müssen wir bei jemandem sein. Das ist ein tief sitzendes Primatenbedürfnis.« Es fiel mir schwer, einen ruhigen Ton beizubehalten. »Ich schätze, es gehört zu meiner Programmierung. Das solltest du eigentlich verstehen.«
    »Aber Ihr Sohn hat offiziell erklärt, dass er keinen Wert auf Ihre Anwesenheit legt.«
    Richtig, das hatte Tom gesagt, und es war nicht gerade hilfreich für meine Bewerbung. »Sobald ein Kind ungefähr zehn Jahre alt

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