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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
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glänzte heller als das Tageslicht und beschien Dreas Gesicht von unten, während die Schwestern sich im Hochgefühl des Skims aneinander festhielten.
    »Drea, was wollen wir hier?«
    Drea trat beiseite und gab mit einer schwungvollen Geste den Blick auf ein klobiges Artefakt frei. »Wir sind deshalb hier«, sagte sie. Es war Alias Beobachtungstank, das kostbarste Überbleibsel ihrer Kindheit. »Schau.«
    Im Tank saß Michael Poole, eine Statuette nicht größer als Alias Hand, ruhig auf einem Stuhl. Durch ein Fenster fiel warmes, von sonnengetüpfeltem Wasser reflektiertes Licht in sein Zimmer. Drea sagte: »Wenn sich die Transzendenz auflöst, werden die Beobachtungstanks nicht mehr funktionieren.«
    »Ja, wahrscheinlich.«
    »Ich dachte, du würdest ihn noch ein letztes Mal sehen wollen.« Drea beugte sich über den Tank. »Dies ist eine Zeit in seinem Leben nach der Begegnung mit der Transzendenz. An diesem Punkt seiner Lebenslinie erinnert er sich an dich, Alia.«
    Wenn er sich nach seiner niederschmetternden Selbstaufopferung überhaupt an irgendetwas erinnert, dachte Alia beklommen. »Auf seine Weise hat das Beobachten tatsächlich funktioniert, weißt du. Ich habe Poole kennen gelernt und bin dadurch ein besserer Mensch geworden. Das glaube ich jedenfalls.«
    »Du hast ihn geliebt, nicht wahr? Und du liebst ihn vielleicht noch immer.«
    »Aber er hat mich nicht geliebt, Drea. Für ihn gab es immer nur Morag.«
    Drea sagte ernst: »Es ist am besten so, dass es aufhört.« Sie trällerte ein paar Töne. »Jedes Lied hat ein Ende – und ein vorzüglicher Schluss trägt viel zur Schönheit des Liedes bei.«
    Alia spürte, wie sich gewaltige Kräfte sammelten. Sie hob das Gesicht zum blauen Himmel der Erde. Durch das trübe Tageslicht glaubte sie die Transzendenz sehen zu können, die Halsketten der geistigen Wesenheiten, die treibenden Eisberge der Erinnerung.
    Drea umklammerte ihre Hände. »Alia?«
    »Es ist gleich so weit.«
    Bald würden sich enorme, unsichtbare Muskeln anspannen. Eine Woge der Differenz würde um die Krümmung des Universums laufen, von der fernsten Zukunft nahtlos bis in die tiefste Vergangenheit. Und die Kräfte, die sich die Transzendenz angeeignet hatte, die Macht, in die tiefste Vergangenheit einzugreifen, würden für immer vergessen sein.
    Um sie herum brodelte die Transzendenz, gewaltige Wolken der Qual und der Entschlossenheit. Die Raumzeit zog sich krampfhaft zusammen – sie spürte es, tief im Innersten ihres Wesens. Und Drea schnappte nach Luft.
    Alia senkte den Blick. Der Beobachtungstank war nicht mehr durchsichtig; das Bild war gebrochen und verwirbelt, wie eine mit einem Stock aufgerührte Wasserpfütze. Doch im letzten Moment, bevor die Verbindung endgültig zusammenbrach, sah Alia, wie Michael Poole den Kopf hob, aus dem Tank zu ihr schaute und lächelte.

 
60
     
     
    Ich bin nach Florida heimgekehrt. Allerdings nicht ins Haus meiner Mutter, das zunehmend Gefahr läuft, ins Meer zu rutschen.
    Ich habe eine kleine Wohnung in Miami bezogen. Ich bin gern unter Menschen, höre gern den Klang ihrer Stimmen. Manchmal vermisse ich den Verkehrslärm, das scharfe Kratzen der Flugzeuge am Himmel, die Geräusche meiner Vergangenheit. Aber das Lachen der Kinder entschädigt mich dafür.
    Das Wasser steigt noch immer. Es gibt viel Elend in Florida, wie woanders auch, viele Umsiedlungen. Ich verstehe das. Aber irgendwie mag ich das Wasser, die allmähliche Auflösung des Staates in einen Archipel. Der langsame, jeden Tag, jede Woche unterschiedlich starke Anstieg des Wasserspiegels gemahnt mich daran, dass nichts so bleibt, wie es ist, dass die Zukunft kommt, ob es uns nun gefällt oder nicht.
     
    Alia hat mir Geschichten aus der fernen Zukunft erzählt, aus ihrer Zeit. Ihre Geschichten kommen im Traum zu mir zurück.
    In einer halben Million Jahre, hat sie gesagt, könnten Kinder skimmen. Es ist wie Teleportation, glaube ich, wie »Beamen«, aber man braucht keine Geräte, schicke blinkende Lichter, Instrumententafeln und Ingenieure mit strenger Kinnpartie. Man tut es einfach. Man beschließt, dass man nicht mehr hier sein möchte, sondern lieber dort drüben, und schon ist man da. Buchstäblich. Kinder werden so geboren. Babys lernen zu skimmen, bevor sie laufen, krabbeln oder klettern können. Teleportierende Babys: Stellen Sie sich das vor. Ihre Eltern müssen sie mit Schmetterlingsnetzen einfangen. Und das Problem der kleinen und großen Geschäfte ist wahrhaft beängstigend.

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