Transzendenz
Integralität war es vorbei.
»Aber wir verfielen nicht wieder in die alte Zersplitterung, jedenfalls nicht ganz«, sagte Reath. »Denn nun tauchte eine neue Kraft in der menschlichen Politik auf: die Unsterblichen.«
Fast schon seit Michael Pooles Zeiten hatte es Unsterbliche unter den Menschen gegeben. Einige von ihnen hatten die Unsterblichkeit durch menschliche oder sogar nichtmenschliche Genmanipulationen erlangt, andere waren die Kinder der Genmanipulierten. Natürlich war keiner von ihnen wirklich »unsterblich«; sie konnten nur nicht vorhersehen, wann sie sterben würden. Sie kamen und gingen in ihren eigenen langsamen Generationen, eine Unterart der Menschheit, deren Lebensspanne sich nach Jahrzehntausenden oder mehr bemaß.
Die sterblichen Menschen hegten eine erbarmungslose Feindseligkeit gegen diese Unsterblichen. Das hatte zur Folge, dass sie sich zusammenscharten, sich zu ihrem gemeinsamen Schutz vereinigten – selbst wenn sie sich häufig gegenseitig hassten. Aber sie waren stets von der Masse der Menschheit abhängig. Unsterblich oder nicht, waren sie nach wie vor Menschen; falls der Rest der Menschheit vernichtet würde, war es fraglich, ob die Unsterblichen lange überleben konnten. Obwohl ihr Blick auf die Welt also sehr stark von dem der Sterblichen abwich, brauchten sie ihre kurzlebigen Verwandten.
Für die Unsterblichen war die lange Hochzeit der Koalition eine verhältnismäßig positive Phase gewesen. Mehr als alles andere suchten sie Stabilität und eine zentrale Macht. Für sie waren der Zusammenbruch der Koalition und die anschließenden wild bewegten Zeiten des Krieges und der Bifurkation eine Katastrophe.
Als sich der Sturm des außergalaktischen Krieges zweihunderttausend Jahre nach Michael Pooles Zeit legte, befanden die Unsterblichen, dass es nun reichte. In diesem Augenblick menschlicher Zersplitterung und Schwäche ergriffen sie die Initiative. Sie machten sich daran, die verstreuten Fetzen der Menschheit zu einer neuen Integralität – der Vierten – zu verweben, die sie »Commonwealth« nennen würden.
Das neue Commonwealth breitete sich über die lädierten Sterne aus. Es war ein langsamer Prozess. Zu Alias Zeit waren seit Gründung des Commonwealth dreihunderttausend Jahre vergangen; es war ein merkwürdiger Gedanke, dass das große Projekt der Vierten Integralität bereits den größten Teil der menschlichen Geschichte beanspruchte. Aber die Unsterblichen hatten Geduld.
Unterdessen starteten sie ein Programm mit dem Ziel, ihre Langlebigkeit mit möglichst vielen Sterblichen zu teilen. Selbst dies lag im wohlverstandenen Eigeninteresse der Unsterblichen – denn welcher der vielen Unterarten der Menschheit die neuen Unsterblichen auch immer entstammten, sie würden binnen kurzem die Werte und Anliegen derjenigen übernehmen, denen sie ihre neue Daseinsweise verdankten.
Reath war begeistert. »Es ist wirklich eine wunderbare Vision, Alia. Die Unsterblichen sind keine Elite. Sie sorgen dafür, dass wir so werden wie sie, sie machen uns ihr eigenes unvorstellbar langes Leben zum Geschenk…«
Aber diese kalte Berechnung stieß Alia ab. Es war, als verwandle der eisige Kuss eines Unsterblichen jeden Sterblichen in einen von ihnen, als infiziere er ihn mit den langen, unmenschlichen Perspektiven. Es war eine Seuche des Nichttodes, dachte sie beklommen.
»Und sie haben noch ein weiteres gewaltiges Projekt in Angriff genommen«, hauchte Reath. »Im Herzen des Commonwealth haben die Unsterblichen die Transzendenz aus der Taufe gehoben. Die Unsterblichen träumen von einer neuen Form menschlichen Lebens, einer höheren Form – wir alle sollen durch eine neue Einheit zu besseren Menschen werden. Ein Traum, ein wundervoller Traum…!«
Alia wandte sich wieder dem Beobachtungstank zu, der auf einen willkürlichen Augenblick in Pooles sechstem Jahrzehnt eingestellt war, einen dreidimensionalen Ausschnitt aus seinem vierdimensionalen Leben. Wie seltsam, dass sie auf diese Weise mit Michael Poole vereint war – er am Anfang des großen Abenteuers der Menschheit und sie vielleicht an dessen Ende.
Sonderbarerweise waren das Beobachten und das umfassendere Programm der Erlösung, auf das Reath angespielt hatte, für die meisten Menschen die sichtbarsten Manifestationen der Bestrebungen der noch jungen Transzendenz. Merkwürdig, dachte Alia jetzt, dass die Transzendenten bei ihrem Griff nach der Zukunft so besessen von der Vergangenheit waren.
Sie versuchte, dies Reath
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