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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
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von Nostalgie, wenn man den Blick über diese sich auflösenden schwarzen Weiten schweifen ließ. Ich stellte mir die gewaltigen, endlosen Verkehrsströme vor, Millionen Tonnen Blech, Glas und Benzin, die sich früher einmal über diese Highways ergossen hatten. Und abseits der Straße sah man weitere unvergessliche Bilder: aufgegebene Tankstellen, Motels und Einkaufszentren, allesamt Elemente der ausgedehnten Infrastruktur, die diesen Verkehrsstrom früher aufrechterhalten und sich ihrerseits von ihm genährt hatte.
    Wie seltsam, dass alle Autos verschwunden waren!
     
    Natürlich war es die Ökonomie, die dem Automobil den Garaus gemacht hatte.
    In den 2020er Jahren gab es einen Umschlagpunkt. Jahrzehntelang waren die Volkswirtschaft und unsere politische Bewegungsfreiheit sehr stark von unserer Ölabhängigkeit eingeschränkt worden. Und nun ging das Öl zur Neige: Die Ingenieure mussten in den Bohrlöchern Feuer entzünden, um die letzten Ölreste herauszutreiben, oder Mikroben hinunterschicken, die das Öl von Poren im Gestein der Lagerstätte lösen sollten. Daheim litten wir unter inflationären Preisschüben, Stromausfällen und Sabotage, und im Ausland wurden wir in immer schlimmere Konflikte um die letzten schwindenden Ölvorräte im Nahen Osten und in Zentralasien hineingezogen. Und dann gab es auch noch die Klimaerwärmung, deren Verbindung zur Kohlenstoffwirtschaft immer deutlicher zutage trat. Der Staatsstreich in Saudi-Arabien brachte das Fass schließlich zum Überlaufen. Das Nicht-OPEC-Öl war längst aufgebraucht, und als auf den größten verbliebenen Feldern der Welt die Ölhähne zugedreht wurden, wenn auch nur für kurze Zeit, war das ein wirtschaftlicher Schlag, der Entlassungen und Stagflation nach sich zog.
    Genug ist genug, sagte Präsidentin Amin, die zweite weibliche Regierungschefin; sie hatte das Weiße Haus im Jahr 2024 erobert. Amin, die richtige Frau zur richtigen Zeit, artikulierte den großen, aber täuschend schlichten Traum von einem Amerika, das bereitwillig eine neue Bestimmung akzeptierte – einem Amerika, das sich seiner Verantwortung für die Zukunft der Menschheit stellte, »so weit wir auf unserem leuchtenden Berg sehen können«. Eines Tages würde diese Vision zum Patronat führen.
    Aber zuerst mussten wir vom Öl wegkommen. Amin entwickelte die erste Version unserer modernen Energiestrategie mit dezentraler Infrastruktur auf der Basis von Wasserstoffstrom und Atomkraft. Natürlich gab es Widerstand, eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem Gesetzgeber und Esso-Mobil-Shell-BP, dem letzten der großen Kohlenstoff-Konglomerate. Und da die OPEC ihre Machtbasis schwinden sah, waren wir auch mit äußeren Bedrohungen konfrontiert.
    Noch traumatischer war der zwangsweise Automobilentzug.
    Politisch erwies er sich als simpel. Auf längere Sicht mussten wir zu einem neuen Beförderungsparadigma auf der Basis von Wasserstoff, Biokraftstoffen und elektrischen Zellen wechseln. Aber fürs Erste erhob Amin neue Umwelt- und Zukunftssteuern, die die echten Kosten eines Autos von der Herstellung bis zur Luftverschmutzung mit Kohlenstoffen reflektierten – eine »Preisgestaltung unter Einbeziehung sämtlicher gesellschaftlicher Kosten«, wie die Ökonomen es nannten.
    Es war wie ein Modewechsel. Wenn die Benzinkosten nur hoch genug waren, stellte man erstaunlicherweise plötzlich fest, dass man eigentlich doch gar nicht so viel fahren musste. Stattdessen nahm man den Bus und den Zug, oder man ging zu Fuß. Man kaufte dort ein, wo man wohnte: Die Idee der »Dorfgemeinschaft« wurde wiederbelebt, als örtliche Krankenhäuser, Schulen und Geschäfte florierten und in fußläufiger Entfernung alles Notwendige boten. Und es gab einen Boom bei den Kommunikationsanlagen. Während unsere physische Beförderungskapazität abnahm, engagierten wir uns zunehmend in einer »virtuellen Ökonomie«: Die Telearbeit gelangte endlich zu voller Blüte.
    Im Alltag kam einem das alles ganz leicht vor. Aber die Verwerfungen waren natürlich Schwindel erregend. Es gab eine massive Abwanderung von Gewerbebetrieben aus den Stadtzentren, die im Gegenzug wieder von Menschen besiedelt wurden. Einige modernere Gemeinden, etwa weite Bereiche des Großraums Los Angeles, waren ohne Auto auf einmal unbewohnbar; die Immobilienwerte spielten verrückt. Die Landwirtschaft war als Industrie ebenso abhängig von ihren Vertriebsnetzen wie jede andere, und die Nahrungsmittelversorgung boomte und brach zusammen.
    Die

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