Transzendenz
vergiftet war, wenn er überhaupt Wasser führte, und dessen riesiges Tiefland ein einziges großes Hydrotechnikprojekt war.
Es gab jedoch noch viel weiter gehende Pläne, ethische Grundsätze und neue Wirtschaftsregeln zu etablieren, um die Welt wieder aufzubauen – die Projekte, bei denen John mitarbeitete. Es war wirklich ein neuer »Marshall-Plan für eine übel zugerichtete Welt«, ein kühnes Zusammenspiel von Umweltmanagement, Wirtschaft und Diplomatie. Mit der Zeit waren auch die großen Religionen an Bord gekommen, und eine jahrzehntelange Flut von Konflikten, die aus aggressiven und triumphalistischen Tendenzen in all den großen Glaubensrichtungen entstanden war, ebbte nun ab. Das Patronat hatte sogar eine begrenzte demokratische Legitimation erhalten, als der Rest der Welt an den Präsidentschaftswahlen der Vereinigten Staaten teilnehmen durfte, ein »einundfünfzigster Staat« mit ebenso vielen Wahlmännerstimmen wie Kalifornien – mehr als genug, um bei knappen Resultaten den Ausschlag zu geben.
Ich hielt das Patronat für die größte politische Errungenschaft meines Erwachsenenlebens. Ich konnte mich leidenschaftlich darüber auslassen. Aber Tom war offenbar anderer Meinung als ich, selbst in diesem Punkt. Wie konnten wir beide nur so unterschiedlich sein?
Nun, sagte ich mir, eine Beziehung ist ein Prozess; hin und wieder macht man dramatische Phasen durch, aber man gelangt nie an ein Ende, jedenfalls nicht diesseits des Grabes. Allerdings war ich nicht sicher, wie es nun mit Tom weitergehen würde, was ich als Nächstes tun sollte. Oder – wo ich gerade dabei war – was ich wegen Morag unternehmen sollte.
Während ich so dahinmarschierte, schwirrten mir all die Dinge im Kopf herum, die in meinem Leben eine Rolle spielten, und suchten nach Zusammenhängen und einem Brennpunkt: Arbeit, das Raumschiff, Tom, Morag, das nagende Thema der Gashydrate. Und obwohl ich es mir nicht recht eingestehen wollte, war es auch ein wenig beunruhigend, dass sich alles auf mich zu konzentrieren schien.
Ich glaube, ich bildete mir ein, dass ein Gespräch mit George mir helfen würde, in meinem Kopf Ordnung zu schaffen.
Georges Haus war einer von vielen aneinander gereihten Ziegelkästen. Ein paar Fenster waren als solche erhalten geblieben, selbst wenn das Glas staubig war und der Anstrich, intelligent oder nicht, schon bessere Tage gesehen hatte. Und er hatte immer noch einen Garten; kleine Sprinkler bewässerten seine Lupinen, Astern und Rittersporne. Der Rasen sah einigermaßen gesund aus, aber die Ilexbüsche, die den Garten einmal vom Bürgersteig abgegrenzt hatten, waren einer Bambusreihe gewichen.
Es dauerte eine Weile, bis er auf mein Klingeln hin öffnete. Er begrüßte mich mit einem breiten Zahnpastalächeln. »Michael! Bist du also tatsächlich gekommen.« Er führte mich in die Diele und in die Küche. »Komm rein, komm rein. Schön, dich zu sehen. Aber alte Leute freuen sich ja immer über Besuch. Bemitleidenswert, was?«
George war ähnlich gebaut wie ich – kräftig oder gedrungen, je nachdem, ob man es von innen oder von außen betrachtete. Er kam noch immer recht gut voran, aber sein Oberkörper war gebeugt, der Hals ragte nach vorn, und seinen etwas holprigen Schritten haftete eine gewisse Zerbrechlichkeit an.
Die Diele war eng, an den Wänden hingen vergilbende Tapeten, und trotz der Bemühungen eines spinnenartigen Reinigungsroboters, der mit dem Kopf nach unten über die Decke hastete, lag der muffige, feuchte, unverkennbare Geruch alter Leute in der Luft. Das Haus war bemerkenswert überschwemmungssicher. Im Erdgeschoss gab es keinen Teppichboden, sondern nur Fliesen und ein paar aufrollbare Teppiche und Matten, und die Steckdosen waren auf halbe Wandhöhe versetzt worden.
Die Küche war sauber und hell, und ich roch Knoblauch. George hatte früher in Italien gelebt und sich dort ein paar gute Kochgewohnheiten zugelegt. Mit ihren sicherheitsorientierten Herdplattenabdeckungen aus Keramik, den gerundeten Kanten und leuchtenden Primärfarben sah die Küche allerdings seltsam spielzeugartig aus. George hatte sich schon früher darüber beschwert. »Die Sozialarbeiter verwandeln einem das Haus in einen dusseligen Kindergarten«, pflegte er zu sagen. Die Wandnischen enthielten jedoch eine Sammlung katholischer Paraphernalien, eine Gipsstatue der Jungfrau Maria, eine kleine Plastikflasche mit der Aufschrift »Lourdes Weihwasser« – vermutlich Hinterlassenschaften von Georges Eltern, die
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