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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
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sehr fromm gewesen waren.
    George war siebenundachtzig Jahre alt. Seine Frau, meine Tante Linda, war vor ein paar Jahren gestorben. Er hatte sie nach ihrer Scheidung tatsächlich ein zweites Mal geheiratet; im Alter von zwölf Jahren wurde ich nach England geschleppt, um bei der zweiten Hochzeit dabei zu sein – »ein Witz«, mit den Worten meiner Mutter, »typisch George«. Soweit ich wusste, waren George und Linda glücklich gewesen. Doch dann war sie vor ein paar Jahren gestorben. »Das ist das Problem mit Happy Ends«, hatte er mir nach der Beerdigung erklärt. »Man lebt einfach immer weiter, bis der Saft irgendwann raus ist, und dann zeigt sich, dass es doch nicht so happy war.«
    Er ließ mich an seinem kleinen Frühstückstisch Platz nehmen und hantierte mit einem Kessel herum. »Also, was möchtest du, Tee, Kaffee? Ein Bier? Trink ein Bier. Tu was Verrücktes.«
    »Ein Bier wäre prima.«
    Er rieb sich die Hände und lachte gackernd. Sein offener Mund gab den Blick auf regelmäßige weiße Zähne frei, die wahrscheinlich aus Knospen nachgezüchtet worden waren. Er bückte sich steif, öffnete den Kühlschrank und holte zwei braune Flaschen heraus.
    Der Kühlschrank protestierte mit leiser Stimme. »George, bist du sicher, dass das klug ist? Eigentlich ist es noch ein bisschen früh, findest du nicht?«
    »Schnauze«, sagte er fröhlich und knallte die Tür zu.
    Das Bier war stark und sandig. »Weizenbier?«, fragte ich.
    »Die einzige Sorte, die ich mir leisten kann. Die Hopfenernte hat sich nie vom Mehltau-Befall erholt. Aber es hat einen Alkoholgehalt von fünf Prozent.« Er trank einen tiefen Schluck. »Also«, sagte er, »erzähl mir von deinem Kuiper-Projekt.«
    Das hatte mir immer an George gefallen, schon als ich noch ein Kind gewesen war. Er benahm sich nie wie ein Onkel, wie ein Verwandter. Er stellte einem keine höflichen, gelangweilten Fragen, wie es in der Schule lief. Im Lauf der Jahre entwickelte er gemeinsame Interessen mit uns – bei mir war es der Raumflug und alles Außerirdische –, sodass wir bei seinen Besuchen immer ein echtes Gesprächsthema hatten.
    Meine Mutter wusste das allerdings nicht zu schätzen, glaube ich. »Du behandelst Michael wie den Sohn, den du nie hattest«, schrie sie ihn einmal an. »Quatsch«, erwiderte George kurz und knapp, zu meiner großen Freude.
    George erklärte immer, er freue sich, dass ich an Kuiper arbeite, selbst wenn es nur eine kleine Konstruktionsstudie sei. Er fand die Anomalie vor allem deshalb faszinierend, weil ihre Entdeckung in der ersten Dekade des Jahrhunderts auf einen seltsamen Zeitpunkt in seinem eigenen Leben gefallen war, wie er mir erzählte. Sein Vater war gerade gestorben, und er hatte sich auf die Suche nach einer Schwester begeben, von deren Existenz er nichts gewusst hatte. Die Entdeckung von Kuiper sowie die damit einhergehenden großen philosophischen Umwälzungen hatten für ihn Parallelen zu dem Aufruhr in seinem eigenen Herzen gehabt.
    Außerdem sei es besonders passend, dass gerade ich an Kuiper arbeite, erklärte er mir einmal, ohne es weiter zu erläutern. George machte hin und wieder ganz gern ein Geheimnis um irgendwelche Dinge. Nun ja, er war eben ein Poole.
    Während wir dort saßen und über Kuiper redeten, kam ein Spielzeugroboter in die Küche gerollt. Er war eine echte Antiquität aus Formblech, Kunststoff und kleinen Glasaugen, und während er vor sich hinrasselte, ließ ein Schwungrad Reibungsfunken durch ein Gitter in seinem Bauch sprühen.
    »Was willst du?«, blaffte George den Roboter an.
    »Du weichst von deinem üblichen Tagesverlauf ab, George. Normalerweise machst du um diese Zeit einen Spaziergang ins Einkaufszentrum. Ich habe mich gefragt, ob du es vergessen hast.« Die Stimme des Roboters war auf komische Weise melodramatisch; auf die Verkündung interplanetarer Gefahren ausgelegt, war sie nun mit häuslichen Trivialitäten befasst.
    George sagte zu mir: »Siehst du, was ich meine? Sie verwandeln dein Haus in einen Kindergarten. Nein, ich hab’s nicht vergessen«, schnauzte er den Roboter an. »Ich bin bloß kein dusseliger Roboter wie du. Ich besitze einen freien Willen.«
    »Den besitze ich auch, George«, erwiderte der Roboter, »aber über philosophische Fragen können wir später diskutieren. Möchtest du nicht deinen Spaziergang machen? Vielleicht könnte dein neuer Freund mitgehen.«
    »Das ist kein Freund, sondern mein Neffe. Und wir trinken Bier und unterhalten uns. Also verzieh dich.« Er

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