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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz Kostenlos Bücher Online Lesen
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sprossen, inklusive Sauna-Anbau. Und in einem chinesischen Labor züchteten sie ganze Bücher auf Bäumen, komplett mit Text, wie Blätterbündel.
    Als George wieder zu Atem kam, sang er ein paar Zeilen aus einem wehmütigen Lied. »All the leaves are brown, and the sky is grey…«
    »Das klingt hübsch.«
    Er zuckte die Achseln. »Hier hat sich alles vollkommen verändert, seit ich ein Kind war. Siehst du diese Bäume? Es sind Bergahornbäume. Und die Büsche sind Rhododendren und Japan-Knöterich.« Er zeigte mit seinem Stock darauf. »Da drüben stand mal eine große, alte Eiche. Am Rand des fünfzehnten Grüns.« Von ihr war nur noch ein leicht verschattetes Loch im Boden übrig. »Als Kind kam ich öfters her, um mich mit einer Freundin zu treffen, die in der Nähe wohnte. Ich fuhr mit dem Fahrrad hierher, schlich mich rein und las im Schatten dieses alten Baumes. Manchmal klaute ich Golfbälle, die vorbeigeflogen kamen, und verkaufte sie den Spielern zurück, aber das ist eine andere Geschichte.
    Tja, und dann bin ich zurückgekehrt – herrje, da muss ich schon in den Fünfzigern gewesen sein, in deinem Alter –, um nach dem Tod meines Vaters noch ein paar Dinge zu regeln. Ich machte einen Spaziergang hierher. Und dieser alte Baum war am Sterben. Ich dachte immer, er werde ewig leben, oder zumindest länger als ich. Aber es sah tatsächlich so aus, als blute er; dieser schreckliche teerige Saft sickerte aus Krebsgeschwüren an seinem Stamm. Alle Blätter waren braun.
    Später fand ich heraus, was es war. Es heißt plötzlicher Eichentod – eine Pilzart, die tötet, indem sie den Nährstoffstrom im Stamm unterbindet. Damals schafften wir Pflanzen und Bäume über den ganzen Erdball, und die brachten ihre Schädlinge mit. Heutzutage sieht man Eichen nur noch in den Gewächshäusern von Kew Gardens.« Er machte eine Handbewegung zu dem Bergahorn über ihm. »Stattdessen haben wir diesen spiddeligen Mist. Und all die Tiere, die es früher gab, sind ebenfalls verschwunden, Spechte, Schmetterlinge und Kröten. Die Welt scheint sich geleert zu haben.«
    Ich wusste, was er meinte. Geprägt von Monokulturen und Stille, war England wie eine verlassene Theaterbühne nach dem Abgang der Schauspieler. In weiten Teilen Amerikas war es genauso.
    »Aber als ich diesen armen blutenden Baum das erste Mal sah, konnte ich nur an dieses alberne alte Lied denken. All the leaves are brown. Und eine andere Zeile hieß: I’d be safe and warm if I was in LA. Aber in Los Angeles gibt es auch keinen warmen Sonnenschein mehr, in den man sich flüchten kann, stimmt’s?«
    »Ich glaube nicht.«
    George lehnte sich wieder an den Baumstamm und seufzte. »Hör zu, Michael. Ich klinge nur ungern wie ein alter Mann, aber du solltest das wissen. Ich habe daran gedacht, mich in einen Baum schreiben zu lassen…«
    Ich hatte davon gehört. Die Idee war, eine kodierte Version von Georges Genom beispielsweise in die DNA eines Bergahorns einzubetten. Für den Baum war das ohne Bedeutung: Es gab Möglichkeiten, dies zu tun, ohne die Länge des Baumgens oder das von ihm gebildete Protein zu verändern. Aber der Baum würde so etwas wie ein lebendiges Denkmal sein, während er heranwuchs, und jede einzelne seiner unzähligen Zellen würde ein genetisches Echo von George in sich tragen.
    »Er denkt nicht nur daran«, sagte der Roboter mürrisch. »Er hat es auch in seinem Testament niedergelegt.«
    »Ich hätte nie gedacht, dass du so sentimental bist, George.«
    »Sentimental? Vielleicht. Ich habe keine Kinder, weißt du.«
    Das war natürlich das entscheidende Verkaufsargument. Überall in Europa und Nordamerika sanken die Geburtenraten, und eine wachsende Zahl von Menschen sah sich vor die Aussicht gestellt, kinderlos zu sterben. Deshalb verkaufte man ihnen andere »Methoden«, ihr Erbgut weiterleben zu lassen.
    »Ich glaube, es ist eine tief sitzende genetische Sache«, sagte George. Seine Stimme wurde leiser. »Ich bereue es nicht, dass ich keine Kinder habe – nicht wegen der Kinder selbst, weil sie nie existiert haben, und selbst wenn, wären aus ihnen wahrscheinlich doch nur solche Arschlöcher geworden wie ich. Aber hinter mir steht eine Schlange von Großmüttern und Großvätern, die bis zu irgendeinem Homo erectus mit niedriger Stirn zurückreicht. Warum soll diese lange Linie ausgerechnet mit mir enden? Es kommt mir unverantwortlich vor, das alles einfach kampflos gehen zu lassen.«
    Aus einem spontanen Impuls heraus berührte ich seine

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