Trantüten von Panem
ist.
Inzwischen stopfen sich alle weiter die Bäuche voll. Pita isst allein bei dieser Mahlzeit mehr Hummer als ich in einem ganzen Monat in Distrikt 12. Er hält nur inne, wenn er kurz vor dem Ersticken ist. Jedes Mal, wenn das passiert, steht Edelkitsch in aller Ruhe auf, stellt sich hinter ihn, legt die Arme um seinen Bauch und nimmt das Heimlich-Manöver vor.
Als die Nichtsprech wieder aus der Küche kommt, um Pita noch mehr Essen zu bringen, bemerke ich, wie sie mir immer wieder einen bösen Blick zuwirft. Kann sie denn wirklich noch sauer auf mich sein?
Nach dem Essen räumen die Erwachsenen den Tisch ab. Edelkitsch rückt mit seinem Stuhl näher zu mir und Pita heran. »Okay, ihr beiden. Das Training beginnt morgen früh«, verkündet er. »Beim Training müsst ihr euch unbedingt von eurer besten Seite zeigen, denn die Jury wird euch genau auf die Finger schauen.«
Die Jury plant den Verlauf der Hungerspiele. Sie legt alles fest – vom Aussehen der Arena bis zum Cover der Special-Edition der Hungerspiele- DVD . Es ist also verdammt wichtig, einen guten Eindruck auf sie zu machen.
»Kantkiss, ich habe gehört, dass du mit Pfeil und Bogen ganz gut umgehen kannst«, meint Edelkitsch. »Und du, Pita«, fährt er fort, »sollst ein ganz netter Mensch sein.« Pita starrt Edelkitsch an und wartet auf ein etwas konkreteres Lob. »Also, gute Nacht«, verabschiedet sich Edelkitsch und steht auf.
Nachdem er das Esszimmer verlassen hat, dreht sich Pita zu mir um. »Vroni Kolaleit?«, sagt er und lächelt mich dabei verschwörerisch an.
»Wir können hier nicht reden«, erwidere ich und blicke dabei auf die nur schlecht versteckten Kameras an den Wänden. Zu unserer Linken hängt ein Druck der Mona Lisa , aus deren Augen zwei riesige Objektive ragen. »Lass uns aufs Dach gehen.«
Wir betreten den Lift und drücken einfach auf alle Knöpfe. Irgendwann werden wir schon oben ankommen. Aber ehe wir auf dem Dach sind, öffnen sich die Türen des Lifts auf den anderen Stockwerken, und so können wir den einen oder anderen Blick auf die Tribute der anderen Distrikte werfen. Im siebten Stock sind die Tribute aus Distrikt 7 – dem Staatsanwalts-Distrikt – damit beschäftigt, Gesetzestexte Korrektur zu lesen. Im neunten Stockwerk liegen die Tribute von Distrikt 9 zusammengekauert auf einer Couch und schauen sich den Film District 9 an. Im zehnten Stock können wir die Tribute des Theater-Distrikts hören, wie sie fröhlich ein Lied anstimmen: »Dämliche Flöten, wir werden euch morgen töten!«
Endlich kommen wir ganz oben an. Kaum steigen wir aus dem Lift auf das windige Dach, da sehe ich schon etwas, mit dem ich nicht gerechnet habe. Edelkitsch steht nur wenige Meter von uns entfernt direkt am Rand des Daches, und es scheint, als ob er gleich springen wollte. Es ist zwar laut hier oben, aber ich kann trotzdem hören, wie er sich anfeuert. »Tu es einfach, Junge … So viele Schulden! … Jetzt hör endlich auf zu jammern und spring … Los, bring es endlich hinter dich … Spring!«
»Edelkitsch!«, brülle ich und renne auf ihn zu.
Er dreht sich um. »Hallo, Kinder«, begrüßt er uns mürrisch. »Was habt ihr denn hier oben verloren?«
»Was wir hier oben verloren haben?«, fragt Pita empört. »Die Frage ist doch vielmehr, was Sie hier oben vorhaben.«
Er kratzt sich nervös am Hinterkopf und tritt von einem Fuß auf den anderen. »Nun, wenn ich ehrlich sein soll … Ich habe einen Haufen Wettschulden und weiß nicht, wie ich sie begleichen soll. Das hier schien mir die beste Option zu sein. Versteht ihr?«
Pita nickt ernst und weicht einige Schritte zurück. Er ist jetzt überzeugt, dass Edelkitsch das Richtige tut. Also bedeutet er mir, ebenfalls vom Rand wegzutreten. »Pita, nein. Lassen Sie das, Edelkitsch!«, rufe ich entsetzt.
»Warum sollte ich?«, will er wissen.
»Weil es so vieles gibt, wofür es sich zu leben lohnt«, erwidere ich. »Und wir brauchen Ihre Hilfe, um die Hungerspiele lebend zu überstehen.«
Edelkitsch späht über den Rand. Es ist ganz schön hoch. Er holt tief Luft und kehrt langsam auf das Dach zurück. Ohne etwas zu sagen, kommt er zu mir und legt seine Hand für einen kurzen Augenblick auf meine Schulter, ehe er zum Lift geht, um in den Eingeweiden des Trainingscenters zu verschwinden.
»Das war ja heftig«, sage ich zu Pita. Wenn ich mir die Schweißflecke unter seinen Achseln ansehe, dann ist er wohl derselben Meinung.
Wir suchen uns eine Bank und setzen uns. Hier können
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