Trapez
»Ich wollte nicht, dass du dich auf dem Trapez aufregst. Ich hatte Angst, aber ich – als ich zurückkam, waren wir schon für unseren Auftritt bereit, und ich wu ss te nicht, was schlimmer gewesen wäre. Es dir zu sagen oder es dir nicht zu sagen.«
»Du hättest es mir sagen sollen«, sagte Mario. »Ich hatte mich geweigert, mit ihm aufzutreten.« Er sah finster drein und fing an, seine Hosen anzuziehen. »Zieh dich an, Tommy.«
»Wirst du mit Wayland sprechen?«
Mario schüttelte den Kopf. Als Tommy in seine Jeans und Turnschuhe schlüpfte, sagte Mario: »Geh rüber zum Wagen für Ehepaare und frag Johnny und Stella, ob sie mit zum Speisewagen auf ein Sandwich kommen wollen oder ob wir in ihr Abteil gehen können – Stel kann hier nicht herkommen zum Männerwagen, aber ich glaube, wir können dorthin gehen. Frag, was ihnen lieber ist. Ich möchte darüber reden.«
Tommy zog seine Jeansjacke an. Die Hitze des späten August wich einem kühlen Wind nach Sonnenuntergang.
Es zog zwischen den Wagen, und er zitterte. In dem Wagen der Ehepaare suchte er entlang der verschlossenen Türen nach dem Schild, auf dem stand JOHNNY UND
STELLA GARDNER – DIE FLYING SANTELLIS.
Er klopfte zögernd. Stella, bis zum Kinn in einen rosa Hausmantel mit Rüschen gehüllt, öffnete und sagte überrascht: »Tommy!«
Er überbrachte Marios Nachricht und sie sagte: »Es ist in Ordnung, wenn ihr hierher kommt. Ich möchte mich lieber nicht wieder umziehen.«
»Übrigens«, sagte Johnny hinter ihr, »wenn du versuchst, im Speisewagen über irgendwas zu sprechen, hast du zwei Dutzend Zuhörer. Wenn das ein privates Familiengespräch ist, machen wir es lieber hier.«
Sie versammelten sich in dem winzigen Abteil. Johnny machte auf seinem Bett Platz für Marios lange Beine und kauerte sich auf einen winzigen Klappstuhl. Stella und Tommy saßen auf dem Teppich, der Teil ihrer Reisemöbel war. Jede Nacht kam er wieder in ihr Abteil, und Stella breitete ihn – wie sie ihm einmal erzählt hatte – vor ihrem Koffer im Umkleideraum aus. Es war ein alter Teppich, weich und fusselig, aber als er den Teppich, den Klappstuhl und den bestickten Schal, den sie über ihren Koffer gebreitet hatte, ansah, dachte er: Sie hat dies zu einer Art Zuhause gemacht. Wie unser Wohnwagen bei Lambeth. Er fragte sich, ob bloß Frauen auf so etwas kamen.
Johnny bot Zigaretten an. Mario gab Stella eine Schachtel Süßigkeiten , die er irgendwo gekauft hatte, die sie sofort herumreichte und dann saßen sie da und aßen Kekse und Käse aus kleinen Schälchen, während sie eine Zeitlang über die Vorstellung und die lange Nachtfahrt nach Denver redeten.
»Ich hasse Denver«, sagte Johnny. »Gottverdammte Pechstadt. Da sind Joe und Lucia …«
»Ja«, sagte Mario, »und Tommys Vater ist dort letztes Jahr sein Arm zerfetzt worden. Angelo hat es auch erwischt.« Stella bekreuzigte sich. »Sprecht nicht über solche Sachen!«
»Na, es ist todsicher, dass ich dort keinen Dreifachen versuchen werde«, sagte Mario, »aber Pech beiseite, die Höhe dort geht mir auf die Pumpe.«
»Mir geht’s genauso«, sagte Johnny. »Ich krieg jedes Mal , wenn wir da oben sind, schreckliche Kopfschmerzen. Schon immer.«
»Apropos Unglück«, sagte Mario. »Was hältst du von Coe Wayland?«
»Ganz unter uns«, sagte Johnny, »ich kann den Kerl nicht ausstehen. Aber was, zum Teufel, können wir schon tun? Er ist der Bruder vom Bo ss , und wir haben ihn auf dem Hals.«
»Ehrlich, es macht mich sehr nervös mit ihm zu arbeiten.«
»Na ja, Matt, wie schon gesagt, bei mir gewinnt er auch keinen Beliebtheitswettbewerb. Aber ich sehe nicht, wie wir irgendetwas daran ändern können.«
»Na, das ist eine große Hilfe«, sagte Mario. »Wirklich, ‘ne große Hilfe. Da hätten wir ebensogut in unserem Abteil bleiben können. Jock, tu nicht so!«
»Also pa ss auf, Matt, wir können die Nummer umwerfen , damit ich dich be im Dreifachen fangen kann, wenn du willst. Ich bin nicht gerade verrückt danach – du bist ganz schön schwer, aber die einzige andere Möglichkeit wäre, ein paar Tage Pause zu machen und den Akt neu anzulegen – das könnte er sowieso gut gebrauchen.«
»Das nützt nichts«, sagte Mario. »Wir brauchen zwei Fänger in dem Akt, die Duonummern stehen in unserem Vertrag. Wir haben noch sechs Wochen vor uns, und Wayland ist ein schlechter, schlampiger, gefährlicher Artist und ein Säufer.«
Sie drehten sich beide um und starrten ihn an. Stella sagte mit steigender
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