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Trapez

Trapez

Titel: Trapez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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seinen Gesichtszügen ein leicht teuflisches Aussehen. Er sagte kurz: »Wenn wir in die Manege kommen, gehst du zwischen Angelo und Papa Tony. Hast du gesehen, wie der Requisiteur unsere Capes abnimmt?« Tommy nickte. »Das machst du heute Abend , so kann dich das Publikum gut sehen. Zuerst Papa Tonys, dann Angelos, dann meins. Dann gibst du sie dem Helfer.
    Du weißt ja, wie’s geht. Nur nicht zu hastig.«
    Angelo legte sich das Cape um die Schultern, Tommy hatte keins. Er war nur ein Ersatzmann, ein Anhängsel.
    Sie gingen über den Hof zum Eingang und kamen gerade an, als die Kapelle die langsame, eindrucksvolle Musik anstimmte, die den Auftritt der Flieger ankündigte. Zum hundertsten Mal wollte Tommy einen von ihnen fragen, welches Stück es war und wu ss te gleichzeitig, dass er es wahrscheinlich wieder vergessen würde.
    »Komm!« Angelo nahm seinen Ellenbogen und steuerte ihn auf den Eingang zu. Mario hatte immer noch nichts gesagt. Tommy wu ss te, dass einige Artisten nervöser als andere waren, wenn sie in die Manege gingen – er selbst war froh, wenigstens bis zum Fuß des Trapezes zu kommen, ohne dass ihm schlecht wurde – , aber Mario sah aus, als ob er schlafwandeln würde.
    Angelo grinste Tommy schnell an und flüsterte dann:
    »Okay, Junge, keine Angst, du hast es hundertmal gemacht. Warum sollte es diesmal anders sein?« Er griff an Tommy vorbei und packte Marios Ellenbogen.
    »Du bist angespannt, Matt! Wie ein Flitzbogen!
    Glaubst du immer noch, dass du es schaffst? Macht nichts, wenn’s nicht klappt.«
    Mario sagte etwas, aber Tommy hörte nicht, was es war, denn die Stimme von Jim Lambeth dröhnte über die Lautsprecher.
    »Die Flying Santellis!«
    Tommy holte tief Atem. Er fühlte sich wackelig, als ob seine Beine nicht lang genug wären, um den Boden zu berühren. Er versuchte so zu gehen wie sie, mit gemessenen, langsamen Schritten, nicht nach links oder rechts schauend.
    Als die feierliche Eingangsmusik ohne Übergang zu einem anmutigen, wiegenden Walzer wechselte, griff Tommy zu beiden Seiten, nahm die schweren Capes und gab sie dem Helfer. Er war als letzter auf der Leiter, und die Scheinwerfer schienen ihm in die Augen. Als er auf die Brücke trat, fühlte er sich so merkwürdig wie beim ersten Mal . Er stand nicht ganz sicher. Dann fand er sein Gleichgewicht, als er sich an den Seitenseilen festhielt.
    Marios Hand lag hart und fest auf seiner Schulter.
    Ihm war kalt; innen und außen . Durch die Scheinwerfer sahen die Trapezstangen seltsam anders aus. Dünne, eigentümliche, schwarze Linien, und auch Angelo und Papa Tony – auf dem zweiten Fängertrapez für diese Eröffnungsnummer – erschienen merkwürdig verwandelt; grö ss er als gewöhnlich. Er hörte nur mit halbem Ohr, was Big Jim sagte: »Zum ersten Mal überhaupt… der jüngste Trapezflieger, der regelmäßig in einem Zirkus in Amerika auftritt… zum ersten Mal ein neues Mi tglied bei der Santelli-Truppe… Mario und Tommy Santelli am Doppeltrapez!«
    Als sie die Stange herunterzogen, flüsterte Mario:
    »Kannst du gut sehen bei dem Licht?«
    »Klar!«
    »Gut. Jetzt!«
    Die innere Uhr fing an zu ticken, ohne dass ein bewu ss ter Gedanke nötig war. Eins: Vier Hände klatschten gleichzeitig an die Stange. Zwei: Der lange Schwung hin, der hohe gewölbte Stoß und zurück. Drei: Noch einmal hin, um Schwung zu bekommen – und für einen Augenblick sah Tommy im ungewohnten Scheinwerferlicht die dünnen, dunklen Umrisse des Netzes unter sich. Vier: Der gestreckte Absprung in die Luft, das Klatschen von Papa Tonys Händen gegen seine Handgelenke, das plötzliche Gewicht an seinen Schultern … er hörte wie Mario in Angelos Griff knallte, und spürte die identische Linie und Biegung ihrer Körper, während sie zusammen schwangen, geübt, bis es Reflex war, automatisch. Dann der Rückschwung, die Drehung in Richtung auf die Plattform, das Schießen durch den leeren Raum, die betäubende Angst für den Bruchteil einer Sekunde, von der er an dieser Stelle nie ganz frei war –wenn das Trapez nun im Wind zur Seite geweht worden ist – wenn auch nur ein bi ss chen –schließlich die lähmende Erleichterung, es sicher und fest in ihren vier Händen zu fühlen, gleichmäßig , nicht unsauber, damit es nicht zur einen oder anderen Seite rutscht. Ein fester Griff, ein langer Trommelwirbel oder war es sein Herzklopfen? Seine Füße schlugen auf die Plattform, und er hörte den Applaus. Zum ersten Mal galt er ihm, anschwellend,

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