Trapez
jetzt bin ich ein altgedienter Soldat, und du – du bist ein verheirateter Mann, ein Vater. Ich glaube, wir müssen uns um das alte Gerede keine Sorgen machen, was?«
Mario bi ss langsam an. »Ich bin verdammt eingerostet – ich hab’ mich gehen lassen –, aber einen Winter lang richtig gute Arbeit sollte uns wieder in Form bringen. Für einen Fänger könnten wir in Billboard inserieren. Glaubst du, dass wir hier in der Stadt eine Ausgabe kriegen können?«
»In so einem Kaff? Ich würde nicht darauf wetten.«
»Dann morgen oder wenn wir in San Antonio spielen.
La ss uns jedenfalls mal ausrechnen, wieviel Geld wir für ein Trapez brauchen. Wir brauchen ein neues Netz und neue Drähte, auch wenn noch Zeug im Haus rumliegt, das wir benutzen können. Papa Tony hat die Netze immer irgendwo unten in San Diego bestellt – sie machen Netze für die Fischereiflotte. Ich weiß nicht, ob sie immer noch im Geschäft sind.«
Tommy kicherte. »Das habe ich mich immer gefragt.
Ich wu ss te nie, wo man ein Trapez kaufen kann.«
»Na ja, sicherlich gehst du nicht in Woolworth’ Spielwarenabteilung«, sagte Mario mit schiefem Grinsen.
Tommy holte einen Kugelschreiber aus seiner Tasche.
»Hast du was zum Schreiben? In meinem Koffer habe ich die Kopie des alten Vertrages, und das Sparbuch von diesem Treuhänderkonto oder was es war.«
»Klar, und während du das machst, koch’ ich frischen Kaffee.«
Die Nacht ging vorbei, während sie redeten und rechneten. Mario streckte sich schließlich aus, griff nach der schon lange leeren Kaffeekanne und sah auf die kleine Uhr auf dem Tisch. »Meine Güte, Junge, es ist nach drei!«
»O Gott«, sagte Tommy und knüllte ein Blatt mit Zahlen zusammen. »Du hätte st mich schon vor Stunden raus werfen sollen. Wir können morgen die ganzen Kleinigkeiten besprechen.«
»Ich hab’ gedacht, du bleibst hier. Das mu ss t du wohl, außer wenn du im Auto schlafen willst. Auch die Touri stenabsteigen sind jetzt alle voll.«
Tommy sah Mario scharf an, aber er hatte sich nach vorn gebeugt und fingerte an den schäbigen Schnürbändern seiner Sandalen herum. Verdammt, sagte er zu sich.
Du hast es so gewollt. Du hast ihm ausrichten lassen, sein Bruder sei hier. Du bist jetzt kein Kind mehr. Vergi ss es. Er hat es auch vergessen.
»Okay, danke.«
Mario saß auf der Bettkante in einem schäbigen alten Bademantel.
»Zigarette?«
»Danke. Wann hast du zu rauchen angefangen?«
»Ich rauche nicht viel, drei, vier am Tag – sogar Angelo hat nichts gesagt.«
»Ich hab’ seinen Namen im – wie nennt man das? – Nachspann von irgendeinem Film gesehen, als ich in Deutschland war.«
»Ja, in dem Jahr, als ich bei Starr war, hat er viel in Hollywood gearbeitet. Er ist ein guter Stuntman«, sagte Mario. »Ich bin der Meinung, das ist gefährlicher als Fliegen.« Mario drückte seine Zigarette aus. »Da wir gerade beim Träumen sind, sollten wir davon träumen, dass wir ihn überreden können, zurückzukommen und für uns zu fangen!«
Sie lagen nebeneinander, berührten sich nicht. Mario hatte den gleichen leichten Geruch nach Nelken an sich.
Tommy kämpfte gegen den Drang an, seine vernarbte Schulter zu berühren. Verdammt, sagte er wütend zu sich.
Du hast zweitausend Meilen hinter dir, um ihn zu finden.
Wir sind wieder Freunde. La ss es dabei.
Wie ruhig Mario war. Er atmete kaum. Wovor hat er Angst? Und dann wu ss te er es. Mario war – er würde es immer sein – derselbe. Aber er selbst – er war als Junge weggegangen u nd als Mann zurückgekommen. Wie konnte Mario wissen, ob die Jahre ihn verändert hatten?
Warum machst du dir was vor? Du hast die ganze Zeit darüber nachgedacht. Vielleicht bist du verrückt, wenn du versuchst die Vergangenheit aufzurühren. Wir sind nicht mehr dieselben.
»Schläfst du?« flüsterte er.
»Fast«, aber Tommy wu ss te, dass das nicht stimmte.
»Wie alt bist du, Mario?«
»Neunundzwanzig, das weißt du doch.«
»Ich hatte es vergessen.«
»Ich nicht«, sagte Mario sanft. »Du bist am 1. Mai zweiundzwanzig geworden. Ich weiß es noch, weil es ein guter Zirkusgeburtstag ist.«
»Ich hab’ vergessen, wann du Geburtstag hast.«
»Februar«, sagte Mario. »Ich bin Wassermann.«
» Weißt du, was ich mir wünsche?«
»Nein, was?«
»Ich wünsche mir von Herzen, dass es noch ein Gewitter gibt«, sagte Tommy und seine Stimme versagte. Er zog Mario in seine Arme, als ob nur durch Gewalt fünf Jahre Befangenheit und Elend ausgelöscht werden
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