Trapez
ab, sein Mund war eine schmale Linie. »Wenn sie wie Liss aussieht, ist es bloß , weil Susan wie Liss aussieht. Hat nichts mit mir zu tun.«
»Matthew, Gesu e Maria, wie kannst du etwas so Schreckliches sagen?« Sie brach in einen italienischen Redeschwall aus. Mario runzelte die Stirn.
»Hör zu, Mutter«, sagte er, und weil Tommy nie zuvor gehört hatte, dass er Lucia »Mutter« nannte, war er erschrocken, obwohl Marios Stimme ganz sanft war. »Es mag schrecklich sein, aber es ist zufällig wahr. Suzy ist nicht meine Tochter, und wenn du dich fragst, woher ich das weiß , ich weiß es auf die einzige Weise, auf die man so etwas wissen kann.«
Lucia errötete tatsächlich. Sie sagte etwas auf Italienisch, aber Mario erwiderte knapp: »Ja, und ich werde es ganz klar sagen. Susan ist eine Herumtreiberin, und Suzy ist ein Bastard – ist dir das klar genug? Ich war bereit, Suzy zu behalten, und sie hätte nie erfahren, dass ich nicht ihr Vater bin, und da du sagst, sie sähe aus wie alle Mädchen der Familie, hätte es wahrscheinlich gut funktioniert. Aber Susan hat es nicht so gewollt, darum hat sie ihre Scheidung un d ihr Kind bekommen. Punkt. Und wenn ich gewu ss t hätte, dass sie die Stirn hat hierherzukommen, hätte ich ihr zuerst den Hals umgedreht.«
»Matthew Gardner, ich will solche Worte nicht unter dem Dach meines Vaters hören! Heirat ist ein Heiliges Sakrament. Vor Gottes Augen seid du und Susan für immer Mann und Frau…«
»Lu, um Gottes willen, wenn du das so siehst, dann waren Susan und ich nie Mann und Frau. Sie hat sich von ihrem ersten Mann scheiden lassen, ein Jahr bevor ich sie kennengelernt habe. Und ist es nicht ungefähr dreißig Jahre zu spät, um wegen Kindern rührselig zu werden?«
»Oh, Matt…« Lucias immer noch schönes Gesicht verzog sich. Sie breitete ihre Hände aus, und diese so resignierende, so wunderschöne Geste, rührte Tommy fast zu Tränen. »Ich hoffe bloß , Matt, dass deine Kinder nachsichtiger sein werden als es meine je waren. Ihr habt mich dafür bezahlen lassen. Ihr alle, weiß Gott.«
»Lucia, cara, Lucia…«
»Vor einer Minute hast du mich ›Mutter‹ genannt, aber du mu ss test dazu verärgert genug sein, dass du mich am liebsten erwürgt hättest!«
Mario lächelte, aber er sah wild aus. »Als wir klein genug waren, um dich so nennen zu wollen, Lu Darling, hast du uns beigebracht, dass ›Mutter‹ ein schmutziges Wort ist.« Sie zuckte zusammen, und er legte eine Hand auf ihren Arm. »Du hast einen wunden Punkt getroffen, und ich habe zurückgeschlagen, das ist alles. Verzeihst du mir?«
Ihre Finger schlossen si ch um seine. »Natürlich, aber – figlio – wird es dir die Mutter zurückgeben, die du hättest haben sollen, wenn du Suzy die Chance nimmst, mit einem guten Vater und einer Familie aufzuwachsen?«
Mario schüttelte abgespannt den Kopf. »Ich würde einen verdammt guten Vater abgeben«, sagte er. »Nein, natürlich nicht, Lu. Aber keiner kann von vorn anfangen.
Suzy wird wohl das Beste daraus machen müssen, so wie wir alle.«
Ein paar Tage später waren Mario und Tommy unten im Umkleideraum und gingen die eingepackte Garderobe der letzten Saison der ›Flying Santellis‹ durch. Der Raum roch staubig und muffig, eine Mischung aus Mottenkugeln und diesem undefinierbaren Geruch von abgestandenem Schweiß und altem Stoff. Tommy dachte, dies ist einmal das Herz des Hauses gewesen. Der lebendige Mittelpunkt. Jetzt war es leer, leblos. Die Anschlagtafel war leer und staubbedeckt, die Wände kahl. Mario starrte verdrießlich in den Raum.
»Die Flugund Besserungsanstalt hat wohl für immer zugemacht. Wir bauen morgen das Trapez auf – und holen Joe und Angelo, um uns mit den Spannseilen zu helfen.«
Tommy nickte. »Wir holen besser auch den Sicherheitsgürtel raus, wegen der ganzen Kinder. Willst du sie wirklich alle rauflassen, Mario?«
So war es passiert: Vor einem Jahr hatten drei von Clays Schulkameraden ein Akrobatenteam gegründet, und da sie über fortgeschrittenes Turnen und Barrenübungen hinaus waren, hatten sie begonnen, nach jemandem zu suchen, der ihnen Trapezarbeit beibringen konnte. Angelo hatte barsch abgelehnt, aber vor ein paar Tagen hatte es Clay erwähnt, und Marios Reaktion hatte gelautet: »Warum nicht?«
Jetzt sagte er langsam: »Na ja, ich muss es Clay irgendwie beibringen – Papa Tony hätte das gewollt. Und wenn ich einen Teenager trainieren mu ss , kann ich ebensogut ein halbes Dutzend
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