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Trapez

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Titel: Trapez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Nacht, vor so vielen Jahren. Damals war es ein verzweifelter Wahn, ein Verlangen nach Sicherheit angesichts seines eigenen grausamen, neuen Wissens über sich selbst. Jetzt war es Bestätigung. Ein Zusammenkommen im Wissen dessen, was sie immer füreinander gewesen waren. Es war jetzt kein Kind, das sich an einen äl teren Jungen klammerte in einer verwirrten Mischung aus Heldenverehrung, Bewunderung und sexuellem Erwachen, jetzt wu ss te er genau, was sie beide wollten, mit vertrauensvoller Klarheit, und er zog Mario in seine Arme. Etwas, das zwischen ihnen verlorengegangen war, seit sie sich als Männer wiedergetroffen hatten, etwas, von dem er befürchtet hatte, dass es für immer verschwunden war, war wieder da.
    Wir gehören zusammen. Wir sind jetzt keine Kinder mehr. Wir sind Männer und wir wissen, was wir sind und was wir wollen. Aber in der Erregung, Mario heute Abend zu betrachten, war ein Hauch der alten Bewunderung und Ehrfurcht. Er sagte: »Ich liebe dich, Matt.« Aber er wusste, dass diese Worte nur eine Kurzform für mehr waren als Liebe, als Sexualität, als Bedürfnis, das sie zusammenbrachte. Wieder war da für einen kurzen Moment das Bild des verschmelzenden Griffs, ineinander verschränkt, emporschwingen, perfekt, zusammen… Umschlungen, sinnlich, ihre Körper trafen sich so wie sie sich perfekt in der Luft trafen. Flugträume, sexuelle Träume … In einem Sekundenbruchteil der Erinnerung fielen ihm Worte wieder ein, die er vergessen hatte, und er flüsterte: »Wir haben nur einen Herzschlag.« Er war sich nicht sicher, ob Mario es hören konnte, aber es spielte keine Rolle. Er wu ss te es.

KAPITEL 10

Er wachte auf, und wieder war sein Zeitgefühl durcheinander. Eine Rückkehr in die Vergangenheit? Oder ein neuer Anfang? Sanft befreite er sich aus Marios fester Umarmung und betrachtete das Gesicht des schlafenden Mannes. Der Raum war hell, und auf Marios Uhr auf dem Nachttisch, die er sehen konnte, wenn er seinen Hal s etwas reckte, war es fast neun. Er seufzte mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Resignation, als er Marios Gesicht ansah – entspannt, alle Züge der Anspannung und Bitterkeit waren für den Augenblick geglättet – und erkannte die Tiefe seiner Bindung an diesen schwierigen, besessenen Menschen.
    Wie alle Liebenden versuchte er sich an den ersten Augenblick zu erinnern, in dem er gemerkt hatte, dass er verliebt war. Nicht die Gewitternacht in Oklahoma, als Mario ihn zuerst mit in sein Bett genommen hatte, nicht die dunkle Nacht, als er schläfrig vom rollenden Donner an der See einen flüchtigen Ku ss gespürt hatte. Vielleicht nicht einmal die Nacht – obwohl es dem schon näher kam –, als Mario in ihm die Erkenntnis aufgerüttelt hatte, was er war: Ein Künstler, ein Flieger und keine ›Heulsuse‹. War es der Tag seines ersten Sturzes gewesen, als Mario die kleine Medaille an den Halssaum seines Hemdes gesteckt hatte, und an dem Tommy erkannt hatte, dass er hundertmal stürzen würde, tausendmal, ohne zu jammern, um dieses zustimmende Grinsen hervorzurufen? Er berührte die kleine Medaille, die auf dem Nachttisch lag.
    Sie war etwas dünner geworden und glatt von der Berührung mit seinem Körper.
    Nein, es hatte früher angefangen. Zu der Zeit, als er nichts anderes als Marios Besessenheit gekannt hatte. Ein Junge auf dem Manegenboden, der einem älteren Jungen zuschaut, wie er durch den Raum fliegt und landet, verwundbar und zitternd, fast zu seinen Fü ss en – der durch den Raum emporsteigt und ohne Flügel zum Unerreichbaren strebt. Ich wollte es ihm schon damals geben. Ich wu ss te nicht, was es war, aber ich wollte es auch. Der Drang zum Fliegen. Das gemeinsame Verlangen, Besessenheit: Das Erlebnis, das den Rest des Lebens lebenswert macht.
    Mario hatte ihm so viel gegeben. Zuerst die Freiheit auf der Plattform, dann die des Fluges. Stärke und Selbstvertrauen, und das unbezahlbare Geschenk des Mutes. Er hatte ihn mit Härte ausgerüstet und unnachgiebig, wie bei einem manegenscheuen Fohlen, seinen Eigensinn gebrochen und ihm nichts erspart. Nicht einmal im Namen der Liebe. Und später hatte ihm Mario das Wissen um sein eigenes Wesen gegeben. Das Erwachen von Sexualität, die er ebenso mit ihm geteilt hatte, verschwenderisch und kompromi ss los.
    Ich mu ss te hart mit dir sein, Tommy. Wenn ich nicht so hart mit dir gewesen wäre, wäre ich nachgiebig und völlig weich geworden. Und du hättest mich irgendwo im Graben liegen sehen. Tommy erkannte plötzlich,

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