Trapez
Schlag abbekomme, anfängt zu bluten. Als ich klein war, hatte ich immer fürchterliches Nasenbluten.« Er nahm das eisgefüllte Handtuch weg und lachte. »Ich weiß noch das letzte Mal , als das passierte. Damal s waren wir bei Lambeth, und du hast mich direkt aus dem Fangtrapez gehauen, weißt du noch?«
»Klar!« Mit einem plötzlichen Anflug von Zärtlichkeit beugte sich Tommy hinunter und kü ss te ihn. Mario streckte seine Arme aus und zog Tommy an sich. Sie blieben so für ein, zwei Minuten und erinnerten sich an ein Dutzend gemeinsam erlebter Stürze, an Momente der Nähe. Dann lachte Mario und steckte einen Eiswürfel in Tommys Kragen, und sie fingen an, sich wie Teenager zu boxen und zu balgen. Plötzlich hörte Mario auf und stand für eine Weile ruhig da.
»Tom. Hast du vor ein paar Minuten was gehört? Eine Tür auf-und zugehen?«
»Ich hab’ nichts gehört.« Tommy sah auf seine Uhr.
»Angelo ist noch nicht zu Hause, und die Kinder sind in der Schule. Ich glaube nicht – könnte es ein Landstreicher gewesen sein?«
Marios Gesicht war sehr ernst. »Das meine ich nicht.
Ich nehme nicht an, dass man was sehen konnte – oder wenn, dass sich irgendjemand was dabei denkt. Aber – na ja.«
Doch Tommy war beunruhigt, als er nach oben ging, um sich umzuziehen. Mario war in die Küche gegangen, um mehr Eis zu holen. Tommy knöpfte sein Hemd zu, als der Türknauf knarrte. Er dachte, dass es Mario war und schlo ss auf.
»Was soll das denn?« fragte Angelo durch die verschlossene Tür. »In diesem Haus schließen wir nie die Türen zu!«
»Ihr klopft ja auch nie an«, sagte Tommy scherzhaft.
»Und ich habe irgendwie was dagegen, dass mich Lucia oder Tess im Hemd erwischen.«
»Wo ist Matt?«
»Unten, legt mehr Eis auf sein Gesicht.«
»Ich habe gesehen, dass du im Umkleideraum Eis draufgetan hast«, sagte Angelo. »Wie ist es passiert?«
»Er ist falsch aufs Netz aufgekommen und hat seinen Kopf ans Knie geschlagen, Nasenbluten. Und er wird ein wundervolles Veilchen haben.«
Tommy bot Angelo den einzigen Stuhl im Zimmer an, setzte sich ans Bettende und schob ein gebrauchtes Trikot unter den Rand des Bettrahmens. »Zigarette?«
»Ich rauch’ meine eigenen, danke. Die, die ihr beiden mögt, schmecken zu sehr nach Hustenbonbons.« Angelo grinste ihn mit Unbehagen an. » Weißt du noch, als ich dir eine Zigarette angeboten habe und du mir einen Vortrag gehalten hast über die Gründe, weswegen Athleten nicht rauchen sollten?«
Tommy lachte mit ihm. »Gott, was muss ich damals für ein mieser, kleiner Besserwisser gewesen sein!«
Nach einer Weile sagte Angelo: »Tom, wir sind alle froh, dass du dich entschieden hast, wieder mit Matt aufzutreten. Es ist wunderbar, wie du ihn zurechtgebogen hast. Er war ein wilder Junge, weißt du? – kam in Schwierigkeiten, wurde vom College geworfen…«
Tommy klickte nervös mit dem Zündmechanismus am Feuerzeug, aber als es endlich flackerte, beugte er sich vor und blies die winzige Flamme aus. »Er hat mir alles darüber erzählt, Angelo.«
»Ich frage mich nur« – Angelo legte die Stirn in Falten –, »wieviel er dir erzählt hat. Und jetzt fängst du für ihn. Tom, wie sehr bist du überhaupt in diese Partnerschaft verstrickt?«
Tommy sagte offen: »Wir teilen alles. Genauso wie damals, als du bei uns warst. Ich hab’ mein Gespartes in den neuen Trapezaufbau gesteckt, aber es kommt aufs gleiche raus, weil er ein großer Publikumsmagnet ist.«
»Geld meine ich nicht, Tom. Ich meine, wieviel von dir hast du hier hineingelegt? Mir würde es leid tun, euch zwei so abhängig voneinander zu sehen…« Er brach ab, und Tommy wu ss te – als ihn eine unangenehme Erinnerung einholte –, dass Angelo um etwas herumredete, was er sich nicht zu sagen traute.
Was hat er überhaupt gesehen? Was war, was er hätte sehen können? Nichts! Absolut nichts! Und doch fühlte sich Tommy, als ob er dem Mann ins Gesicht schrie.
Verdammt, Angelo, ich weiß , was du herauszubekommen versuchst. Und die Antwort ist ja. Und überhaupt, zum Teufel mit dir!
Aber seine aufrichtige Liebe und der Respekt für den anderen ließen ihn schweigen. Schließlich sagte er: »Klar sind wir voneinander abhängig. Das sind ein Flieger und ein Fänger immer.«
»Du beantwortest meine Frage nicht.«
»Nein, und ich habe es auch nicht vor. Hör zu, Angelo: Ich will nicht unhöflich sein, aber du bist nicht mehr in der Nummer. Du hast aufgehört, du wolltest es so, und jetzt hast du dein Leben
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