Trapez
an zu klettern und fügte beiläufig hinzu:
»Wenn’s weh tut – es ist was im Umkleideraum.«
»Elissa, ich warte«, knurrte Papa Tony. »Ein bi ss chen mehr Aufmerksamkeit, wenn ich bitten darf!«
Tommy folgte ihr mit seinen Augen. »Hat David endlich nachgegeben?«
Mario verzog seinen Mund zu einem knappen Lächeln.
»Lucia hat mit ihm geredet. Sie hat fest versprochen, nicht zu fliegen, also hat er sich entschlossen, großzügig zu sein. Er sagt, sie kann hier unten herumspielen und raufgehn und uns die Seile halten.«
Tommy hob Johnnys abgetragenen Pullover auf, den Stella als Umhang benutzt hatte und ging ihr nach. Sie stand in der Mitte des Umkleideraums, mit ihrem Rücken zu ihm, ein kleines Häufchen Elend, ihr schweißnasses blondes Haar rutschte aus dem Stirnband. Sie hob ihren Ellenbogen und berührte die Abschürfung vorsichtig mit den Fingerspitzen.
Tommy ließ die schwere Tür zufallen. »Stel, du erkältest dich. Hier!« Er legte den Pullover um ihre Schultern und fühlte, wie sie zitterte.
»Warum heizen si e diesen alten Schuppen nicht?« murrte sie.
»Weil Hitze nach oben steigt. Bevor es unten nur halbwegs angenehm wäre, würde es heiß genug sein, um uns oben alle auf dem Trapez zu ersticken. Tut dein Ellbogen weh?«
Sie sah ihn teilnahmslos an, aber er bemerkte, dass sie den Pullover vorsichtig davon fernhielt.
»Ein paar Zentimeter Haut sind weg, das ist alles.«
»La ss mich was drauf tun.«
Er holte den Erste-Hilfe-Kasten und veranla ss te sie, sich auf die Bank zu setzen. Sie sagte nichts und sah auch nicht auf, als er die Tube mit der antiseptischen Salbe herausholte und etwas davon auf eine Mullbinde drückte.
Er mu ss te ihren Ellenbogen in seine Hand nehmen und ihn hochheben, bevor er den Verband auf die wunde Stelle legen konnte. Er befestigte ihn leicht mit zwei Streifen Pflaster.
»Das wär’s.«
»Du hättest dich nicht zu sorgen brauchen«, sagte sie mit ihrer hellen, tonlosen Stimme. »Ich bin Schürfwunden gewöhnt. Ich bin wirklich nicht so ‘n Grünschnabel.«
»Ja, aber es könnte sich entzünden. Mario würde dir die Hölle heiß machen, wenn du mit einer nicht verbundenen Schürfwunde herumlaufen würdest.«
»Das wäre ja wirklich schrecklich«, erwiderte sie spöttisch.
Und als er die Kappe wieder auf die Salbentube schraubte, sah er, dass ihre grauen Augen voll Tränen waren. Hastig neigte sie ihren Kopf, fummelte in der Tasche des ausgeblichenen Turnanzuges nach einem Taschentuch. Es war schmierig vom Schweiß und voller Talkum. Sie hielt schnell ihre Hände vor die Augen.
»Stella, hast du dir wehgetan? Ernsthaft, meine ich?
Willst du raufgehen und dich hinlegen?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf, und er sah wie sich die Muskeln in ihrem Hals krampfhaft bewegten, als sie schluckte. Sie war so dünn, dass man in ihrem Gesicht und an den Handgelenken und den nackten Beinen jede blaue Ader sehen konnte. Tommy legte seine Hand auf ihre Schulter. Sie fühlte sich knochig und zerbrechlich an, wie bei einer Katze. Vorsichtig, als ob er versuchte, ein ängstliches Tier zu streicheln, legte er seinen Arm um ihre Taille und zog sie dicht an sich heran. Sie fühlte sich sehr leicht und zart an, ihr Gesicht kalt und na ss an seiner Wange, ihr Körper verspannt und zitternd wie ein ängstliches Kätzchen. Als er sie heranzog, roch er salzigen Schweiß , Talkum, den beißenden Geruch des antiseptischen Mittels über dem geheimnisvollen Duft ihrer Haut und ihres feuchten Haares.
»Weine nicht«, murmelte er an ihrer nassen Wange.
»Nicht, Kleines.«
Sie hing zitternd an ihm, ihr Kopf auf seiner Schulter.
»Tommy, sie hassen mich. Sie hassen mich alle. Warum?«
»Tun sie nicht, Stel. Ehrlich, sie tun’s nicht, Kleines.
Sie sind eben so. Hör zu«, fügte er ernst hinzu und trat zurück, um sie anzusehen, hielt sie aber noch vorsichtig an einem ihrer dünnen Handgelenke fest, »sogar nachdem Papa Tony dir die Hölle heiß gemacht hat, hast du nicht bemerkt, dass er dir gesagt hat, in einem Salto runterzuspringen? Er hat es mich bis heute nicht einmal versuchen lassen. Und ich arbeite schon ewig mit ihnen.«
»Ich könnte es, wirklich, wenn sie mich nur nicht so anschreien würden.«
»Ich weiß «, Tommy flüsterte fast, »ich nehm’s mir auch zu Herzen. Aber s o sind sie nun mal, Stel. Du ge wöhnst dich dran. Wie ich. Und überhaupt, ziemlich bald werden sie nichts mehr zum Anschreien haben. Das weiß sogar ich.«
»Glaubst du wirklich?«
»Na
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