Trapez
Kinngrübchen.
»Matt, weißt du noch, wie er mir einen riesigen Kaktus in mein Bett gelegt hat? Da mals, als wir in Arizona spiel ten? Ich kam rein und bin mit meinen Fü ss en dagegen ge kommen und hab’ so laut geschrien, dass man es noch im Elefantenwagen hören konnte. Ich mu ss te mit Matt schlafen, und Lucia hat mich zusammengeschi…, zusammengestaucht. Wir haben die Stacheln nie ganz aus meiner Matratze herausbekommen. Ich hab’ sie bis zum Ende der Saison aus meinen Hacken ziehen müssen!«
»Immer wenn die Leute davon reden, wie lustig es in großen Familien zugeht, sollten sie versuchen, mit einem Haufen Teenager unterwegs zu sein.« Angelo legte das Rad auf den Boden und den Lötkolben so hin, dass die heiße Spitze sicher auf dem Steinkamin lag, und zog ein Päckchen Zigaretten raus. »Es war schlimm genug, als sie klein waren und fremde Kätzchen und Frösche und so was adoptiert haben. Liss selbst war okay – das Schlimmste, das sie je getan hat, war, ab und zu ‘ne Zigarette zu klauen oder zwischen den Shows Bananensplits zu mampfen und aus ihrem Trikot zu platzen.«
»Ich? Nie! Hab’ ich nie gemacht! Angelo, wenn du …«
»Aber die Jahre, als wir die drei mit unterwegs hatten, als sie Teenager ware n… Mann, ich sag’ dir, ich hab’ mich auf die Show gefreut, weil das die einzige Zeit war, in der ich mich darauf verlassen konnte, dass sie sich benehmen; zumindest wenn wir alle zusammen auf dem Trapez waren, wu ss te ich, wo ihr wart!«
Mario mischte die Ereigniskarten und grinste Tommy an.
»Das war, bevor wir zu Lambeth kamen. Wir reisten mit den ›Carey-Carmichael-Shows‹, und Lucia reiste mit uns, um sich um Liss zu kümmern.«
»Hat sich schön gekümmert«, knurrte Angelo Lucia mit liebenswürdigem Lächeln an. »Du weißt genau, wer sich um die Kinder der Familie gekümmert hat, sobald sie die Flasche kriegten! Onkel Angelo nämlich!«
Lucia zuckte mit den Achseln.
»Na ja, du magst Kinder. Du hast dich nie drüber beschwert.«
»Na, und wer hätte schon zugehört?« Angelo nahm den Lötkolben wieder auf.
»Lucia war der beste Manager, den wir je hatten«, sagte Papa Tony und öffnete seine Augen. »Sie war darin immer viel besser als ich. Ich habe nie geglaubt, dass eine Frau uns besser managen könnte, als ein Mann. Aber sie konnte es. Ich hoffe, ich kann dich überreden, dies Jahr mit uns zu reisen, liebe Lucia.«
»Ich hatte schon genug davon, bevor Liss heiratete.
Vielen Dank.« Lucia schüttelte ihren Kopf mit dieser sonderbaren Drehung, die zeigte, dass auch sie wie ihre Tochter ein noch verstec ktes Grübchen hatte. »Ich fühl’ mich ganz wohl hier. Das schönste an Kindern ist, dass man sie vernachlässigen kann, wenn sie groß genug sind, um auf sich selbst aufzupassen.«
»Ausgerechnet du Glucke«, lachte Joe und legte seine Zeitung zur Seite. »Papa, weißt du noch, wie sie dem Requisiteur eine geknallt hat?«
Papa Tony warf lachend seinen Kopf zurück, und Lucia machte eine scheinbar verzweifelte, fahrige Geste, um ihr Gesicht zu verbergen.
»Ich hätte jede zweite Vorstellung einen Wutausbruch haben sollen wie Barney Parrish, vielleicht würde man mich dann meinen einzigen Ausrutscher vergessen lassen. Wenn ich schon mal meine Beherrschung verliere, wird’s gleich zur Zirkuslegende!«
»Erzähl schon«, lärmte Clay. »Das habe ich noch nie gehört, Lucia. Daddy, erzähl’s uns.«
Lucia berührte nachdenklich ihre Schläfe. »Schau, ich hab’ immer noch die Narbe.« Sie drehte ihren Kopf, damit die Kinder eine schmale weiße Linie sehen konnten, die in ihr Haar hinauflief. »Ja, erzähl’s ihnen, Joe.«
Sogar Stella sah von ihrem Nähzeug auf, und Tommy sah neugierig die königliche Lucia an, die sich wie ein errötendes Mädchen über den Satin in ihrem Scho ss beugte, aber auch ein wenig lächelte.
Joe sagte: »Nun, es ist in Denver passiert. War es bevor oder nachdem Liss geboren wurde?«
»Nachher«, sagte Papa Tony. »Lucia hatte schon wieder fast drei Monate gearbeitet.«
»Nun, in dem Jahr hatten wir unsern Auftritt immer mit einer Nummer beendet, die wir den ›dreifachen Vogelflug‹ nannten. Ich auf d em Brett, Matthew im Fangtrapez – das heißt , der große Matt –, und dann machte Lulu einen langen Schwung und eine Rolle am Trapez, und sie konnte es wirklich schön, wenn sie wollte. Und dann, gerade als sie so hoch war, dass jeder die Luft anhielt, wirbelte sie das Trapez hoch über die Stützen und tauchte wie ein Schwan
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