Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trapez

Trapez

Titel: Trapez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
Vom Netzwerk:
frühen Nachmittag, als sie in die kleine Stadt hineinfuhren, deren einziger Ruhm es war, dass dort das Winterquartier vom Zirkus Lambeth lag. Es waren schon ungefähr ein Dutzend Lastwagen und Wohnwagen am anderen Ende des riesigen, offenen Platzes am Rande der Baumwollfelder geparkt. Transporter und Lastwagen waren in exakter Formation aufgestellt, ein halbes Dutzend kleiner Zelte waren aufgebaut worden, und die trostlose Ordnung eines Winterquartiers wich der Aufbruchsstimmung einer Show, die sich bereitmacht, auf Reisen zu gehen. Tommy war aus dem Santelli-Wagen heraus, beinahe bevor er hielt, und rannte auf den vertrauten Wohnwagen zu, der seiner Familie gehörte. Nach Umarmungen, Freudenschreien und Begrüßungen und einem zweiten Frühstück mit seinen Eltern, tauchte er in den gewohnten Trubel ein. Trapeze waren innerhalb eines großen , abgesperrten Geländes aufgebaut. Er hörte Peitschenknallen, als ein fr emder Mann in Reitkleidung eine Gruppe von Pferden im grob markierten Ring herumlaufen ließ . Innerhalb des abgesperrten Geländes überwachten ein fremder Mann und eine kleine, blonde Frau, die seltsam verloren aussah, den Aufbau fürs Luftballett.
    Tommy erkannte auch Nummern vom letzten Jahr: die schaukelnden Leitern waren aufgebaut, und Margot Clane hielt ein Seil, an dem ein Mädchen in karierten Shorts und passendem Oberteil hochkletterte. Tommy sah Betsy Gentry nicht. Little Arm, in einem verschossenen Spielanzug, saß auf einer Requisitenkiste. Tommy wollte voller Fragen über die neue Nummer auf sie zugehen, aber Papa Tony befahl ihn zu sich und schickte ihn zu Buck, Lambeth’ ständigem Trapezbauer, um ihm zu helfen, ihr Trapez aufzubauen und zu überprüfen.
    »Und mach dir keine Sorgen«, sagte Papa Tony. »Du wirst mit uns auftreten, denn ich habe Lambeth erzählt, dass du ein fähiger Teil dieser Nummer bist. Und er kennt mich gut. Wenn Tonio Santelli sagt, dass du fliegen kannst« – er hob sein Ki nn und sah sehr arrogant aus –, »brauchst du dir über nichts Sorgen zu machen.«
    Er hatte noch nie solche Komplimente gemacht, und Tommy war überwältigt. Er kletterte das Trapez hinauf, um Bück mit der Vertäuung zu helfen und fühlte sich so glücklich wie noch nie zuvor in seinem Leben.
    Am späten Nachmittag schwang er sich vom Trapez runter, wo er die Streben mit einer Wasserwaage geprüft hatte. Mario und Angelo waren gerade von ihrem Wohnwagen gekommen und trugen Übungstrikots. Tommy rannte zu Mario, wie er es schon tausendmal getan hatte, griff ihn von hinten an und versuchte, halb im Ernst, ihn umzuwerfen, bevor er sein Gleichgewicht wiederfand.
    Mario versteifte sich sofort und stieß ihn weg.
    »Hör auf damit«, sagte er. »Hör auf mit dem Quatsch!«
    Tommy starrte Mario an, als ob er ihn geschlagen hätte, seine Arme hingen herunter. Er war viel zu jung, um sich der plötzlichen Veränderung in Marios Einschätzung bewusst zu sein, die plötzlich aus dem Kind Tommy, mit dem man spielt oder das man beiläufig neckt, eine eigenständige Person gemacht hatte, von der eine unerwartete Berührung, ob bedeutungsvoll oder anstößig , auf jeden Fall persönlich ist. Auch kam es ihm nicht in den Sinn, dass Mario Angst haben könnte, diese Veränderung preiszugeben. Er fühlte, wie sein Gesicht sich verfärbte und lief rückwärts in Angelo hinein. Der Ältere stieß ihn von sich.
    »Achte auf deine Füße , Dummkopf! Mu ss t du die ganze Zeit rumalbern? Willst du hinfallen und dein Handgelenk verrenken, direkt vor der Premiere? Hau ab und zieh dein Trikot an – wir müssen für Lambeth einen Durchgang machen.«
    Tommy lief los, um sich umzuziehen. Als er zurückkam, waren die Santellis alle auf dem Trapez, und Tommy kletterte zu ihnen hinauf. Er hielt Mario das Trapez hin, aber der schüttelte seinen Kopf. »Na, los, worauf wartest du?«
    »Du willst doch immer der Erste sein.«
    »Los, verdammt! Irgendwas ist mit meinem verflixten Handgelenk los.«
    Unter dem wollenen Gelenkschutz bemerkte Tommy, dass Marios Handgelenk mit Pflaster umwickelt war. Er fummelte an den Enden herum, drehte die Wollstreifen und versuchte mit einer Hand und seinen Zähnen, einen Ledergelenkschutz darüberzustreifen. Er sah Tommy böse an, und der Junge fühlte sich durch den Blick fast körperlich verletzt. Plötzlich fiel es ihm ein, und Tommy wurde von Scham überwältigt. Er hätte die ganze Sache vergessen, sie als Spiel auffassen können, das von ihnen vergessen oder verdrängt worden wäre,

Weitere Kostenlose Bücher