Trapez
die Nerven geht…«
»Tom ist okay – um Gottes willen, schieb’s nicht auf ihn. Hier, gib mir ‘ne Zigarette, ja?«
»Certo.« Angelo schüttelte eine für ihn aus dem Päckchen und hielt ihm dann ein Streichholz hin. »Tut dir vielleicht gut, mit dem Rauchen anzufangen, Kleiner. Du bist immer so verdammt gereizt.«
Mario lachte, nahm einen vorsichtigen Zug – einen Nichtraucherzug, ohne zu inhalieren. »Das gibt’s doch nicht, Angelo. Durch meine ganze Jugend hindurch predigst du mir Tag und Nacht, dass ich all die angenehmeren Laster vermeiden soll: rauch nicht, trink nicht, na ja, unnötig, das zu vertiefen. Aber jetzt willst du, dass ich mir alle wegen meiner Nerven angewöhne.«
»Man braucht nichts zu übertreiben, nicht mal Abstinenz.« Angelo setzte sich auf den Manegenrand.
»Komm, ragazzo, wo drückt der Schuh? Wenn du was auf dem Herzen hast, raus damit.«
Mario drückte die Zigarette aus. Er hatte weniger als die Hälfte davon geraucht. »Nein, nichts. Nur die Nerven oder so was. Kann ich nicht auch einen freien Tag wie alle anderen haben? Komm rauf und wir versuchen es noch einmal, wenn du willst.«
»Ach was, du bist ganz verspannt. Ich empfehle eine heiße Dusche, einen D rink und ein langes Nickerchen. Aber wie du willst.«
Angelo drückte seine Zigarette im Sand aus und kratzte vorsichtig mit seinem Fuß über die Asche.
»Und, sieh mal Kleiner, ich schrei’ sehr viel, aber wenn dich irgendwas wirklich bedrückt, können wir drüber reden. Das weißt du doch, oder?«
»Ja klar, Angelo«, sagte Mario, aber er sah ihn nicht an.
»Danke für die Zigarette.«
Er ging zwischen den Wagen hindurch, und Angelo stand da und beobachtete, wie der jüngere Mann wegging, mit jenem Gang, der sogar dann anmutig war, wenn Mario schlurfte. Papa Tony kam von hinten auf Angelo zu und sagte auf Italienisch : »Hast du rausgefunden, was ihm Sorgen macht, mein Sohn?«
Angelo schüttelte den Kopf und antwortete in derselben Sprache: » Weiß der Himmel. Vielleicht hat er nur gerade sein Selbstvertrauen verloren. Bei der Premiere geht’s ihm wieder gut, Papa.«
»Glaubst du, ich soll ihn wegen seines Gelenks zum Doktor schicken? Hat er Schmerzen?«
Angelo schüttelte langsam den Kopf, starrte immer noch dahin, wo Mario verschwunden war. »Nein, Papa«, sagte er schließlich . »La ss den Jungen in Ruhe.«
Unterwegs lebte die Santelli-Familie in ihrem Wohnwagen, aber während der Saison war ihnen durch ein besonderes Zugeständnis in ihrem Vertrag – ein Zugeständnis, das keiner anderen Nummer beim Lambeth-Zirkus zugebilligt wurde – gestattet, den Trapezwagen als ihren privaten Umkleideraum zu benutzen, damit in ihrem Wohnwagen mit den Kostümen und dem Make-up kein Wirrwarr herrsch te. (Obwohl sie kein Make-up im herkömmlichen Sinn benutzten, hatte Tommy schnell gelernt, wie er seine störrischen Locken mit Frisiercreme aus seinen Augen halten konnte, einen Sonnenbrand zu überpudern oder einen k leinen Schnitt mit fleischfarbe nem Pflaster zu überdecken, damit er immer das makellose, glatte Aussehen hatte, auf das sie Wert legten.) Der Trapezwagen war jetzt leer; das ganze schwere Lufttrapez war für die letzten Proben aufgebaut, und Tommy trug Garderobe vom Santelli-Wohnwagen zum Trapezwagen hinüber. Er hängte ihren großen Spiegel an einen Haken an der Wand, stellte die Schminkklapptische auf, die sie benutzten, begann dann die Kostümständer aufzubauen und breitete die Garderobe für den ersten Abend auf Stangen und Bügeln aus. Er war fast fertig, als Mario hinter ihn hereinkam.
»Mein Gott, du bist ja fast fertig! Einer von uns hätte dir doch dabei helfen können!«
»Ist okay. Ich dachte, ihr hättet alle etwas anderes zu tun«, sagte Tommy. »Wie geht es deinem Gelenk?«
»Ganz gut, glaube ich.« Mario nahm den Ledergelenkschutz ab, wickelte den Musselinverband darunter ab und begann das Klebeband abzulösen. Mit links schaffte er es nicht, dann versuchte er es mit den Zähnen loszureißen , und schließlich streckte er Tommy seinen Arm hin.
»Hier, rei ß das verdammte Ding für mich runter, ja?«
Behutsam versuchte Tommy, die verdrehten Enden des Bandes auseinanderzuziehen. »Wie hast du das so wirr hingekriegt?«
»Wohl Schweiß unter dem Lederband.«
»Ich muss ‘ne Schere holen und es aufschneiden.« Als er mit den Scherenspitzen unter das feste Band ging, zuckte Mario zusammen.
»Vorsicht, Vorsicht! Ich bring’ dich um, wenn die Haut kaputt geht!«
»Wenn ich
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