Trau dich endlich!: Roman (German Edition)
geographischen Nähe und der eng verflochtenen Geschichte von Stewart und Perkins wollten viele Bewohner aus beiden Städten hören, was Gabrielle zu sagen hatte.
Und Mary Perkins hatte ein wachsames Auge auf alle. Sie wollte sich den Vortrag offenbar ebenfalls nicht entgehen lassen und thronte mit ihrer Enkelin in der letzten Reihe.
Allein.
Als Gabrielle schließlich das Podium erklomm, war die kleine Bücherei brechend voll. Viele Zuhörer standen mangels Sitzplatz an der hinteren Wand des Saales und drängten sich an den Eingängen. Gabrielle freute sich über den großen Zuspruch, zumal ihr letztes Buch im Oktober des Vorjahres veröffentlicht worden war. Normalerweise trat sie nur in der Öffentlichkeit auf, um für ein neues Werk zu werben, in Form von Signierstunden, Gesprächsrunden in Buchläden oder Lesungen in Büchereien.
Doch mit diesem Auftritt verfolgte sie ein ganz anderes Ziel. Heute ging es nicht darum, den Absatz zu steigern. Heute wollte sie ihre Fachkenntnisse nutzen, um die Menschen zum Umdenken zu bewegen. Sie würde gerade so viel sagen, dass man ihr nicht zur Last legen konnte, Richard Sterns Wahlkampagne zu unterstützen, und vor allem würde sie die allgegenwärtige Mary Perkins nicht erwähnen.
Sie fing pünktlich an. Derek oder seinen Vater hatte sie bislang nicht erspäht, obwohl sie bewusst nach den beiden – und einem Gewehr – Ausschau gehalten hatte. Gabrielle hatte Derek noch nach dem Wahrheitsgehalt von Hollys Bemerkung befragen wollen, doch nach dem leidenschaftlichen Kuss am Nachmittag hatte sie es ganz vergessen.
Sie war enttäuscht, rief sich jedoch in Erinnerung, dass sie ohnehin nicht mit Dereks Erscheinen gerechnet hatte. Aber sie hatte gehofft, ihr Kuss könnte ihn vielleicht zum Kommen bewegen.
Gabrielle verbannte den Gedanken an Derek in die hinterste Ecke ihres Gehirns und begann mit ihrem Vortrag. Einleitend erwähnte sie, dass sie bereits zahlreiche Untersuchungen im Bereich des Übersinnlichen angestellt hatte, und erläuterte, in welchem Zusammenhang diese mit ihren Büchern standen. In Was die Sterne wirklich verraten hatte sie Wahrsagerinnen auf den Zahn gefühlt, und in Ich sehe was, was du nicht siehst war es um die fragwürdigen Fähigkeiten von Hellsehern und Medien gegangen.
Dann leitete sie zum Thema Fluch und Verwünschung über, das sie bereits in Entzaubert , dem Buch des Vorjahres, kurz gestreift hatte. In diesem Zusammenhang erwähnte sie unter anderem die Theorie der Suggestibilität, wonach Menschen aufgrund intensiver Gefühlsregungen – zum Beispiel Furchtsamkeit, hervorgerufen etwa durch einen Fluch – dazu tendieren, bestimmte Ereignisse entsprechend zu interpretieren. In den Nachbarstädten Perkins und Stewart, erklärte sie, sei das Thema Verwünschungen mit derart starken Emotionen behaftet, dass jedes Ereignis, das auch nur annähernd mit einem Fluch in Verbindung gebracht werden könne, automatisch als Resultat dieses Fluches betrachtet würde. Sie brachte auch das Thema Massenpsychologie zur Sprache und erwähnte, dass die Gedanken und Überzeugungen von Einzelpersonen nicht selten von der Mentalität der Gruppe, der sie angehören, beeinflusst werden.
Gabrielle achtete sehr darauf, die Namen Perkins und Corwin nicht zu nennen – und sie vermied es tunlichst, in die hinterste Reihe zu blicken, wo Mary und Elizabeth Perkins saßen. Abschließend sagte sie jedoch ein paar Worte über die kollektive Erfahrung der Bevölkerung von Stewart und Perkins im Zusammenhang mit dem Fluch. Sie ließ außerdem durchblicken, die Tatsache, dass jedes männliche Mitglied einer angeblich verwünschten Familie, das sich verliebt hatte, persönliche und finanzielle Verluste hatte hinnehmen müssen, sei noch lange kein Beweis für die Existenz eines Fluches. Eine Häufung von Schicksalsschlägen könne teils auf Zufälle zurückgeführt werden, teils komme es aufgrund der Beeinflussbarkeit der Betroffenen in Bezug auf maßgebliche Entscheidungen zu einer Art sich selbst erfüllender Prophezeiung.
Gabrielle erntete für ihre Ausführungen stürmischen Beifall. Danach hatten die Zuhörer Gelegenheit, Fragen zu stellen. Als Gabrielle irgendwann auf die Uhr sah, stellte sie fest, dass eine Stunde vergangen war.
»Okay, letzte Frage?« Sie wagte nun doch einen Blick in die hinterste Reihe. Mary Perkins hatte den Raum unbemerkt verlassen, dafür erspähte sie an der Tür zu ihrer Überraschung Hank und Derek,
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