Trauerspiel
schmeicheln.
«Er ist intelligent – und er ist schlau. Er weiß, dass er keine andere Wahl hat als seine Mutter zu töten. In gewisser Weise ist sie schließlich selbst schuld daran. Sie hätte ihm ja helfen können. Leider ist er nicht der einzige Erbe, da gibt es noch, warten Sie, ja, einmal angenommen, da gibt es eine Schwester. Und diese Schwester würde im Falle des Todes ihrer Mutter die Hälfte erben. Deshalb erzählt unser Journalist der Mutter eine Geschichte über seine Schwester, die die Mutter dazu bewegt, die Schwester zu enterben. Was könnte das wohl für eine Geschichte gewesen sein? Haben Sie eine Idee?»
Berger schürzte die Lippen. «Keine Ahnung.»
«Schade», meinte Susanne. «Ich dachte, Ihnen fällt etwas ein.»
Berger dachte nach. «Es könnte ja sein, dass die Mutter Grundsätze hat. Zum Beispiel ist sie überzeugte Antifa schistin und ihr wird zugetragen, dass die Tochter in die NPD eingetreten ist.»
Susanne zögerte. «Vielleicht. Aber läge es da nicht näher, die Tochter einfach zur Rede zu stellen? Das überzeugt mich nicht als Idee. Ich bin mir sicher, die des Journalisten ist genial.»
Berger lächelte wieder. «Wie wäre es dann damit: Sie hat strenge moralische Grundsätze und aufgrund eigener bitterer Erfahrung überhaupt kein Verständnis für Ehebruch. Und, einfach mal angenommen, sie findet einen Liebesbrief ihrer Tochter an einen anderen Mann. Oder sie hört auf dem Anrufbeantworter eine Liebesbotschaft an ihre Tochter. Oder sie bekommt einen Anruf, bei dem sie mit ihrer Tochter verwechselt wird – es könnte ja sein, die beiden haben ganz ähnliche Stimmen – und ein Mann spricht sie mit dem Namen ihrer Tochter an und erzählt von einer berauschenden Liebesnacht.»
Susanne überlegte. «Ja, das klingt einleuchtender. Auf einen Ehebruch spricht man niemanden an, jedenfalls, wenn man Stil hat. Und wir nehmen einmal an, dass die Mutter Stil hat.»
Berger nickte. «Nehmen wir das einmal an.»
Susanne fuhr fort. «In der Tat ein genial einfacher Plan, perfekt. Es funktioniert, die Mutter ändert ihr Testament. Was der Journalist nicht weiß – sie setzt ihre Enkelin an Stelle ihrer Tochter ein und legt fest, dass weder die Tochter noch ihr Ehemann jemals von ihrem Erbe profitieren dürfen, auch nicht indirekt durch einen Todesfall der eingesetzten Erben. Darüber hinaus sind weder die Enkelin noch unser Journalist befugt, ihr Erbe an die Tochter und ihren Ehemann zu verschenken oder abzutreten. Das erfährt unser Journalist bei der Testamentseröffnung. Selbstverständlich hat die Mutter nie daran gedacht, dass ihre Enkelin früh sterben könnte, die Verfügung ist eher ein juristisches Ausrufezeichen hinter der Enterbung ihrer Tochter. Doch damit verfügt sie ungewollt den Tod ihrer Enkelin. Übrigens hat der Journalist seine Mutter erstochen, mit einem dünnen, angespitzten Metallstab. Ich nehme einmal an, mit einer zugefeilten Fahrradspeiche. Könnte das sein?»
Berger hob spielerisch die Hände zu einer ratlosen Geste. «Ich habe keine Ahnung! Klingt aber interessant.»
Susanne fuhr fort. «Er weiß ja, dass der alte Hausarzt genau über die Herzerkrankung der Mutter informiert und es mit seiner Sehkraft nicht mehr zum Besten bestellt ist. Den kleinen roten Punkt auf dem Rücken würde er bestimmt übersehen. Und so kommt es auch.»
Berger lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. «Phantasie haben Sie ja, Frau Pfarrer. Ich wusste gar nicht, dass Theologen so begabte Geschichtenerzähler sind.»
«Die Bibel ist voller spannender Geschichten, Herr Berger», entgegnete Susanne, «übrigens auch voller Morde, schon auf den ersten Seiten.»
«Offensichtlich eine gute Schule», Berger hatte seine Hände jetzt hinter dem Kopf verschränkt und wippte etwas auf seinem Schreibtischstuhl hin und her. «Wie geht sie denn weiter, Ihre Geschichte?»
Susanne fixierte ein Bild von Julia und ihren Eltern, das auf Bergers Schreibtisch stand. Wie pervers konnte ein Mensch eigentlich sein? «Nach der Testamentseröffnung ist unserem Mann klar, dass auch seine Nichte sterben muss. Alles soll wie ein Selbstmord aussehen. Da ihre Eltern vom Erbe ausgeschlossen sind, fiele das dann an ihn. Doch warum sollte sich ein lebensfrohes junges Mädchen umbringen?»
Berger nickte. «In der Tat, das wäre wenig glaubwürdig.»
Susanne merkte, dass ihr übel wurde und holte tief Luft. Das Lächeln Michael Bergers kam ihr inzwischen regelrecht teuflisch vor. Sie fragte sich, wie es ihr je
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