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Trauerweiden

Trauerweiden

Titel: Trauerweiden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wildis Streng
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um die Stereoanlage stumm zu schalten. Die Stille kam trotzdem plötzlich, unerwartet und gänzlich ungnädig. Der junge Mann schluckte, bevor er den Anruf annahm. »Ja?«, krächzte er ins Telefon. »Guten Abend, Herr Ehrmann, hier Waldmüller«, meldete sich die Stimme. Lächerlich. Auch nach vier Jahren duzten sie ihn nicht. Sie hassten ihn eben. Diese elenden Spießer, und die Jessi war so wunderbar gewesen, so spontan, prickelnd wie Sekt. »Ja?«, machte Florian noch einmal. »Also, Herr Ehrmann, wir wollten Ihnen nur sagen, dass, also, wir kümmern uns um die Beerdigung. Sie müssen nichts tun.« Florian schwieg. »In Ordnung?«, insistierte der Alte. Florian sagte immer noch nichts. Stattdessen legte er einfach auf.

Donnerstag, 26. September
    »Sobieczki«, sagte Simon sofort, als sie zur Türe herein kamen.
    »Gesundheit«, wünschte Lisa und
    »Wie bitte?«, fragte Heiko.
    »Sobieczki heißt der Frauänarzt von der Jessica Waldmüller. Und dieh hatte in letzter Zait mährere Tärmine bei ihm. Ihr könnt glaich nachher hin. Den Beschluss hab ii nämlich au.« Er wedelte mit einem Blatt Papier, das er Heiko reichte.
    »Danke, Simon«, meinte Lisa und schenkte dem Schwaben ein bezauberndes Lächeln. Simon nickte knapp. Er schien immer noch ein bisschen beleidigt zu sein, weil Lisa sich für Heiko entschieden hatte. Aber so langsam renkte sich die ganze Sache wieder ein, was auch Heiko sehr recht war.
    »Und ich habe heutä die Leut da für den DNA-Test, ich schick die dann gleich zum Uwe weiter.«
    »Simon, du bist spitze«, meinte Lisa. Wieder nickte der Schwabe. Ernst und würdevoll. »Und eine Lebensversicherung gab es übrigens nicht, das wolltet ihr doch wissen. Und ihr sollt zum Chef«, fügte er hinzu.
    »Was ist eigentlich mit den Alibis?«
    »Ich kümmere mich drum.«
     
    Georg Ullrich saß wie immer in seinem mächtigen Ledersessel vor seinem enormen Rechner, den er hauptsächlich zum Solitär-Spielen benutzte. Kam einer seiner Mitarbeiter herein, so minimierte er stets das Fenster mit dem Spiel und glaubte, es würde keiner bemerken. »Moorcha«, begrüßte der Chef die beiden Kommissare. Er faltete die Hände über seinem recht ansehnlichen Wanst, der heute von einem beigefarbenen Hemd plus rotkarierter Krawatte verhüllt war, und lehnte sich erwartungsvoll zurück.
    »Und?«
    Heiko räusperte sich. »Ja, also, wir checken grad das Umfeld von der Jessica Waldmüller.«
    »Und?«
    »Die Ulmer Pathologen haben herausgefunden, dass das Opfer schwanger war. Mit einem Trisomie-21-Kind, das nicht von ihrem Freund war«, fuhr Lisa fort.
    Ullrich lehnte seinen massigen Oberkörper nach vorne und zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch.
    »Und?«
    So langsam vermutete Heiko, dass der Chef gerade wohl eine besonders spannende Solitär-Partie spielte. Anders war seine Wortkargheit nicht zu erklären.
    »Wir haben den Vater nicht in der Datenbank.«
    »Na, dann findet den Kerl«, befahl Ullrich und maximierte ohne weitere Kommentare und mit erwartungsvollem Blick das Solitär-Fenster.
     
    »Na, dann findet den Kerl«, äffte Heiko und zündete sich eine Zigarette an. »Also, die Gespräche mit dem Chef werden immer konstruktiver.«
    Lisa grinste und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Mach dir nichts draus, er ist halt so. Hier ist es«, sagte sie und wies auf ein helles Gebäude, das ganz offensichtlich zum Kreiskrankenhaus, das seit Neuestem aus irgendwelchen Gründen »Klinikum Crailsheim« hieß, gehörte.
    »Frauenarzt ist doch ein Traumberuf. Den ganzen Tag lang Brüste abtasten«, grinste Heiko und zog erneut an dem Glimmstängel.
    Lisa verdrehte die Augen. »Ja, ein besonderes Vergnügen ist das bei den Über-Achtzigjährigen«, frotzelte sie.
    Heiko wollte nicht darüber nachdenken und versuchte, die Bilder, die sich in seine Gedanken schlichen, zu verdrängen. »So, wenn du dann fertig geraucht hast … «, meinte Lisa tadelnd.
    Heiko betrachtete sinnend die Kippe in seiner Hand. Er rauchte tatsächlich zu viel, da hatte sie schon recht. Aber er musste selbst aufhören wollen. Und er wollte nicht. Nicht wirklich. Es schmeckte ihm. Es beruhigte. Es wirkte entspannend. Es half gegen Hunger. Und gegen Stress. Lisa verschränkte die Arme und zog auffordernd die Augenbrauen hoch. Heiko seufzte, zog noch ein letztes Mal und warf den Stummel dann zu Boden.
     
    In der Frauenarztpraxis roch es nach Medikamenten. Heiko erschnupperte die seltsame Mischung aus Chemie, menschlichen Ausdünstungen und

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