Trauerweiden
war nicht Csaba. Der Typ da hatte lange braune Haare, die er zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden hatte. Nicht Csaba. Aber wer? »Allo isch aißä Jean-Pierre«, sagte der Kerl, der schon wegen seiner Haare eher wie ein Mädchen aussah. Lisa neben ihm sog scharf die Luft ein. »Isch vertrete oitää Abend Schabba. Isch masche jetzt für Sie eine ganz schöne Aufguss mit ein bisschen Musik. Und isch habe für Sie Kardamom-Mangoooh.« Lisa seufzte, ebenso wie alle anderen anwesenden Frauen. Heiko konnte es kaum fassen. Wer war dieser Kerl? Und was bitte sollte das sein – Kardamom-Mangoooh? Was, um Himmels willen, war Kardamom? Mango war halt widerlich süß, das wusste er. Aber Kardamom? War das nicht dieses Gewürz? Ja, war der Typ denn des Wahnsinns? Wollte der tatsächlich Gewürze auf den Ofen streuen? »Aigäntlisch müsste glaisch … «, sagte Jean-Pierre und blickte sich suchend um. Schließlich ertönte Musik. Hier drin war noch nie Musik. Heiko wollte keine Musik in der Sauna. Er wollte seine Ruhe. Und wenn Musik, dann könnte man vielleicht den Holzmichel singen. Vielleicht. Wenn es unbedingt sein musste. Das, was da ertönte, war ein nichtssagendes Geklimper, und dann fing auch noch einer zu singen an, auf Französisch. »Hach, ich liebe Chansons«, entfuhr es Lisa. Jean-Pierre schenkte ihr ein Lächeln und gurrte dann: »Oh, die wundärschöne Madame liebt gutä Musik.« Verschämt lächelnd senkte Lisa den Blick und strich sich eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht. Heiko legte demonstrativ den Arm um sie, was Jean-Pierre aber schon gar nicht mehr bemerkte, weil er bereits begonnen hatte, eine pappige Brühe auf die Steine zu kippen. Sofort stieg ein ekelhaft süßlicher Geruch auf und verbreitete sich rasend schnell im ganzen Raum. »Isch wünschä Ihnen gutä Ärholung«, schmalzte der Franzose und begann zu wedeln. Eigentlich war es kein Wedeln. Es war eher ein Schlenkern. Eine schlechte Imitation eines Toreros. Ja, genau, er wedelte, als sei irgendwo im Raum ein Stier. Aber einer, von dem er nicht wusste, wo er sich befand. Planlos sah das Ganze aus, richtiggehend verpeilt. Und das Schlimmste war: Er wackelte mit dem Arsch. Auf eine richtig obszöne Weise, wie ein schlechter Lambadatänzer. Hätte der Typ keine blaue Hose angehabt – die ihm nebenbei etwas zu eng war, aber nicht etwa, weil er so Eindrucksvolles vorzuweisen gehabt hätte, sondern vielmehr wegen einer zwar kleinen, aber dennoch unübersehbaren Wampe, die bestimmt vom Saufen kam – nicht auszudenken. Heiko schielte zu Lisa hinüber, die die Augen träumerisch auf Jean-Pierre gerichtet hielt, ebenso wie alle anderen Frauen im Raum. Der Franzose lächelte verzückt und begann nun auch noch, mitzusingen. Irgendeinen französischen Schmalz. Die Frauen seufzten wieder, einige gackerten verhalten. Heiko schüttelte langsam den Kopf. »Ah, ist äs Monsieur zu aiß?«, fragte der Möchtegern-Saunameister grinsend in seine Richtung. In Heiko brodelte es und er verbrachte den Rest des Aufgusses damit, gegen den Drang anzukämpfen, den Kerl zu packen und ihn auf den Ofen zu setzen.
Florian Ehrmann saß auf dem Sofa. Er stank und war ungekämmt, aber das war ihm egal. Die Technobeats wummerten in seinem Kopf – er hatte die Musik bis zum Anschlag aufgedreht. Vielleicht könnte sie seinen Schmerz übertönen. Oder aus seinem Gehirn herausprügeln. Er betrachtete die Wodkaflasche, die auf dem Tisch stand. Jessi hatte sie gekauft. Es war teurer Wodka, sie hatten damit auf ihren Jahrestag anstoßen wollen. Heute. Heute vor vier Jahren waren er und Jessi zusammengekommen. Seit vier Jahren war er der glücklichste Mensch der Welt gewesen, bis zu diesem verdammten Junggesellenabschied. Schon oft hatte Florian sich das Gehirn zermartert, wer seine Jessi auf dem Gewissen haben könnte. Und Szenarien gesponnen, was passiert wäre, wenn er nicht auf diese blöde Party gegangen wäre. Und sich gefragt, ob er vielleicht schuld sei, wenigstens ein bisschen. Aber letztlich war es egal, denn das Ergebnis war dasselbe. Er schraubte die Flasche auf und nahm einen tiefen Zug. Der Alkohol brannte in seiner Kehle, aber die erhoffte Reinigung blieb aus. Plötzlich ein Vibrieren an seinem Körper. Er tastete nach seinem Handy, das er wohl in die einzige Tasche des Jogginganzugs gesteckt haben musste. Das Display zeigte die Nummer der alten Waldmüllers an. Schon wollte Florian den Anruf wegdrücken, dann besann er sich und griff zur Fernbedienung,
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