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Trauerweiden

Trauerweiden

Titel: Trauerweiden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wildis Streng
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und die Zähne mahlten. Tanja Feldmann saß vor dem Fernseher. Allein, denn sie war Single. Und deshalb fraß sie Chips. Und wahrscheinlich war sie Single, weil sie so viele Chips in sich hineinstopfte, das wusste sie durchaus, aber es war eben so lecker, so tröstlich, so gut. Konnte ja auch nicht jeder so perfekt sein wie die selige Jessi. Der volle Mund verzog sich zu einem freudlosen Grinsen, und die dicke Hand schaufelte eine weitere Ladung Chips hinein. Jessi. Die ach-so-perfekte Jessi. Sie war nicht wie Jessi. Nicht hübsch, nicht schlank, nicht charmant. Sie war hässlich, fett und trampelig. Und Single. Verdammt. Sie hatte zu tun, bei den Majoretten und ansonsten als Metzgereifachverkäuferin, ja. Der Job war nicht schlecht. Die Kollegen waren nett, aber all das half nicht wirklich weiter. Denn da war Jessi. Und Jessi war schon seit der Grundschule da. Jessi hier, Jessi da. Sieh mal, wie schlank die Jessi ist, hatte ihre Mutter immer gesagt. Die Majorette trank einen Schluck Cola light. Nicht ein einziges Mal hatte ihre Mutter ihr vorgeworfen, zu fett zu sein, sie hatte das subtiler gemacht. Jessi war der Richtwert gewesen, immer. Und dann, als sie in der Pubertät waren und beide bei den Majoretten, da hatte die Jessi sie immer mit ins P1 genommen. Aber nicht, weil sie sie besonders gut hatte leiden können. Sondern eben als Kontrast. Denn neben ihr, neben der fetten, pickligen Tanja, war Jessica Waldmüllers Schönheit besonders gut zur Geltung gekommen. Jessi hatte immer bedauernd mit den Schultern gezuckt, wenn sich die Jungs nur für sie interessiert hatten. Aber sie hatte dabei gelächelt, jedes Mal. Tanja wusste, dass die Jessi sie nur ausgenutzt hatte. Sie kaute auf einer weiteren Chipsladung herum. Ganz recht geschah es der Jessica, ganz recht.
     
    Der M3 passierte die Birken der Maulacher Allee. Heiko hatte Lisa für heute Abend den Besuch in einer ganz besonderen Kneipe versprochen. Einer Kneipe, wie sie sie noch nie zuvor gesehen hätte. Lisa war schon extrem gespannt. Maulach war zwar ein Stadtteil Crailsheims, trotzdem war es ein eigenständiges Dorf. Die Bundesstraße nach Schwäbisch Hall lag zentral. Sie wurde von hohen Birken gesäumt und war durchaus nicht ungefährlich. Schon so manch unvorsichtiger Verkehrsteilnehmer war mit seinem Auto an einem dieser Bäume gelandet. Mitten im Ort bremste Heiko ab und setzte den Blinker. Er bog in einen Feldweg ein, dem der M3 nun leise und scheinbar etwas unzufrieden brummend folgte. »Hier?«, fragte Lisa. »Ist es hier?« Anscheinend fuhren sie auf die Bahnlinie zu, und auch sonst konnte Lisa lediglich ein altes Bahnhofsgebäude am Horizont erahnen. »Hm.« Heiko stellte den BMW tatsächlich auf dem Parkplatz des Bahnhofs ab, und endlich sah Lisa auch die Kneipe. Linkerhand war eine Art Strandbar errichtet. Im Schotter des improvisierten Platzes, der von hohen Kübelpflanzen umgeben war, standen mehrere Tische und Stühle, die auch schon gut besetzt waren. Aus den Lautsprechern tönte Mana, jene südamerikanische Band, die das Lied von der tragischen Geschichte mit der alten Frau an der Muelle de San Blas sang. Lisa liebte und hasste dieses Lied. Egal. Zwischen den Kübelpflanzen spannten sich bunte Lichterketten, und die Leute unterhielten sich angeregt. Irgendwo zirpte eine allerletzte Sommergrille. Lisa konnte es kaum glauben. Dieser Ort war eine Oase. Auch, wenn die Luft schon merklich herbstlich war und man nun tatsächlich nicht mehr ohne eine Jacke auskam, verströmte dieser Platz ganz eindeutig Urlaubsflair. »Warum waren wir hier nicht schon früher?«, tadelte sie. »Im Sommer?« Heiko kratzte sich am Kopf. »Ja, da hast du recht, wir hätten schon früher herkommen sollen.«
     
    Etwas untypisch war dann allerdings das, was sie in dieser Kneipe zu essen bekamen. Lisa hätte das Ganze als »Tapas« bezeichnet, aber auf der Karte stand »Vesperteller«. Eine Auswahl von Schinken und Käse, dazu Schwarzbrot. Hätte das Ganze wirklich »Tapas« geheißen, so hätte es das Dreifache gekostet. Mindestens. Sie verbrachten einen wunderschönen Abend im »Biergarten Bahnhof Maulach« mit hohenlohischen Tapas, südamerikanischer Musik und trotz der Kühle irgendwie auch mit Karibik-Feeling.

Dienstag, 01. Oktober
    »Wir kommen einfach nicht weiter«, klagte Lisa und knautschte ihren Automatenkaffeebecher.
    Sie saßen zu dritt im Büro, Simon hatte sich zu ihnen gesellt. Der kleine Schwabe wirkte heute irgendwie aufgedreht.
    »Wir müssen uns

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