Trauerweiden
sonst?«, sagte das Mädchen und lächelte artig.
»Soll ich den Leuten was mit meiner Geige vorspielen?«
Elke Schuster sah die Kommissare strahlend an. »Aber nein, Schatz, die Polizisten haben sicherlich nicht so viel Zeit.«
Lisa spielte den Ball zurück. »Doch, doch, das wäre sehr nett«, ermunterte sie Heidemarie und sah das Mädchen strahlen.
»Dann kann ich ja mit meiner Flöte mitspielen«, sagte nun Annabella.
Wenig später standen die beiden Kinder stolz vor der hellen Wohnzimmertapete und trugen »Greensleeves« vor. Die Szenerie wirkte ein bisschen wie aus einem Rosamunde-Pilcher-Film. Oder wie aus einem dieser Horrorfilme, wo die Kinder erst ganz höflich und lieb wirken und sich später, nachdem sie erst den Hund, dann ihre Eltern und die Geschwister auf bestialische Art und Weise umgebracht haben, als direkte Nachfahren des Leibhaftigen entpuppen. Annabella, die Tochter des Teufels. Wäre doch kein schlechter Filmtitel, fand Heiko. Als die beiden geendet hatten, spendeten die Kommissare höflich Applaus. »Sehr schön«, lobte Lisa, und Heiko bemerkte zu seinem großen Missfallen wieder das Glitzern in ihren Augen. Dass sie nur ja nicht auf dumme Gedanken käme, er war viel zu jung, um Vater zu werden. »Da haben Sie aber wohlgeratene Kinder«, meinte Lisa. Heiko sah seine Freundin entgeistert an. Wohlgeraten? Was, um Gottes Willen, war denn jetzt passiert? Lisa verzog jedoch keine Miene, sondern lauschte andächtig und zustimmend kopfnickend den Ausführungen der Schusterin, wie wichtig und schön doch so eine intakte, ja, eine perfekte Familie sei und wie erstrebens-und schützenswert. Nach ungefähr zehn Minuten räusperte er sich und hob die Hand, ganz so, als sei er ein Schuljunge und Frau Schuster seine Mathelehrerin, die ihn aufrufen müsse. Das tat sie auch tatsächlich.
»Ja?«
»Also Sie waren jedenfalls den ganzen Abend hier. Dann hätte ich noch eine Frage: Können Sie sich vielleicht vorstellen, wer die Jessica auf dem Gewissen hat?«
Elke Schuster schüttelte den Kopf, immer noch beseelt lächelnd, wohl die Nachwirkungen ihres eigenen Vortrags.
»Nein, wissen Sie, also ich will da niemanden belasten. Obwohl … «
»Was?« Lisa trank einen Schluck Orangensaft.
»Obwohl mir mal zu Ohren gekommen ist … – also wissen Sie, ich habe nämlich eine Cousine, die geht immer in diesen Friseursalon, also jedenfalls, dass die Jessica sich mit einer ihrer Kolleginnen so gar nicht verstanden hat. Es war wohl sogar so, dass die Jessica dieser Kollegin die Leitung der neuen Filiale weggeschnappt hat, die die Uschi eigentlich der anderen versprochen hatte. Welche Kollegin, weiß ich allerdings nicht.«
»Ach«, entfuhr es Lisa, und Elke Schuster nickte eifrig.
»Die Filiale gibt es wohl noch gar nicht. Aber trotzdem. So was ist natürlich nicht schön. Aber im Wegnehmen war die Jessi, Gott hab sie selig, ja nicht schlecht, wenn Sie verstehen, was ich meine. Der Monika traue ich so was allerdings nicht zu, die ist viel zu lieb. Ja, ich weiß ja nicht, ob Ihnen das hilft … «
Lisa lächelte. »Sehr sogar.«
»Wohlgeraten?«, fragte Heiko und sah Lisa vielsagend an. »Was, bitte, ist denn wohlgeraten ?« Lisa zog die Augenbrauen hoch. »Wohlgeraten sind Annabella und Heidemarie. Die sind sogar wahre Musterbeispiele für Wohlgeratenheit.«
»Hm.«
Heiko gab Gas. Der M3 heulte auf und beschleunigte sofort, als Heiko auf der Goldbacher Straße auf die Tube drücken konnte. Lisa sah zu ihrem Freund hin.
»Nicht, dass du denkst, dass ich das gut finde.«
»So? Den Eindruck hatte ich aber«, bescheinigte der Kommissar
»Quatsch. Die beiden sind ja total blutleer. Das ist doch schrecklich. Und keinesfalls normal für dieses Alter.«
Heiko nickte eifrig. »Gell, so ein bisschen wie in diesen Horrorfilmen.«
Lisa grinste. »So weit würde ich jetzt nicht unbedingt gehen. Aber wenn du meinst … «
»Doch, doch«, beharrte Heiko und nickte bestätigend. »Obwohl, vielleicht ein bisschen wie in »The Grudge«. Du weißt schon, das mit dem japanischen Kind.«
»Ja, ja, genau das meine ich.« Lisa fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Jedenfalls ist diese Familie ein solcher Ausbund an Harmonie, dass einem beinah schlecht wird.«
»Nur beinah?« Heiko bog in die Gaildorfer Straße ein. »Hast du Hunger?«, fragte er und sah auf die Uhr. Halb eins, das war eine gute Zeit fürs Mittagessen. »Wie wäre es mit Chinesisch?«
»Gute Idee.«
Sie parkten den Wagen und betraten den
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