Trauerweiden
Offenbar war der Besuch der Polizisten eine willkommene Abwechslung im tristen Alltag. »Komma se rei«, forderte sie auf und machte eine einladende Handbewegung. Die Hintertür schwang auf, und Heiko und Lisa fühlten sich ein bisschen wie Hänsel und Gretel, die von der Hexe in ihr Haus gelockt wurden.
»Hockt eich nou«, sagte die alte Frau und wies auf ein rosafarbenes Samtsofa, das mit selbstgestickten Gobelin – und Brokatkissen geradezu beladen war.
»Wellter ebbes trinka?«
Die Kommissare lehnten dankend ab.
»Wir haben ein paar Fragen an Sie«, meinte Lisa, und Martha Kirchner beugte sich so erwartungsvoll nach vorne, dass ihr Dutt noch besser sichtbar wurde und wie eine braune Krone wirkte. Heiko räusperte sich. Er betrachtete erst eine Weile den immensen Trockenblumenstrauß auf dem Tisch, dann sagte er: »Haben Sie gestern vielleicht bemerkt, wie jemand … vielleicht eine Frau … zu Florian Ehrmann zu Besuch gekommen ist?«
Martha schüttelte den Kopf. »Aber wartas amol an Moment.«
Sie griff zum Telefon, das auf einem kleinen, emaillierten Beistelltisch stand, stets griffbereit sozusagen, und wählte umständlich. Es war noch eines mit Wählscheibe, ein lichtgraues, wie man sie in den Achtziger Jahren gehabt hatte. Dann endlich tutete es, so laut, dass sogar Heiko, der immerhin einen Meter entfernt saß, es hören konnte. Nur zweimal, dann war der Gesprächspartner dran. Vielmehr: Die Gesprächspartnerin.
»Rosa?«, sagte Frau Kirchner ins Telefon. »Du, die Bollzischda sin grood do. Die wella wissa, ob – ha, wenn’s dr koo Umständ mecht, no kumm halt gschwind.«
Heiko machte abwiegelnde Handbewegungen, aber es half nichts. Fünf Minuten später stand Rosa Glock vor der Haustür, diesmal in einer blauen Kleiderschürze mit Prilblumen und mit gelb-braun kariertem Kopftuch. Nun saßen beide Damen vornübergebeugt, als seien sie unglaublich schwerhörig, den Kommissaren gegenüber auf zwei Sesseln.
»So, also, jetzt haben wir Sie ja beide da, das ist ja, hm, noch besser«, urteilte Lisa. Heiko lächelte freundlich und fragte dann: »Und? Haben Sie denn gestern Abend Damenbesuch bei Herrn Ehrmann bemerkt?«
Die Damen wechselten einen schnellen Blick. »Ha, also mitta in dr Nacht is mei Katz uff oomol uffgsprunga, und des macht se nur, wenn ebber kummt.«
Heiko zwang sich, nicht die Augen zu verdrehen.
»Ii könnt mer ja vorstella, dass des des Luader wor.«
»Welches Luder?«
»Ha do, die Rothoorede, wie haaßt’s nochamol – Marion?«
»Monika Silberschmidt?«, vermutete Heiko.
Frau Glock nickte eifrig, sodass die Kopftuchzipfel wackelten.
»Sou haaßt’s, genau. Die hat ja den Kerle gor net in Ruh glasst. Und dabei woora der und die Jessi doch sou a schääns Paar.«
»Na ja, also immerhin hat die Jessica Waldmüller den Florian ja vor einiger Zeit ausgespannt – und zwar der Silberschmidtin.«
Die Augen der Damen weiteten sich. Martha schnalzte sogar missbilligend mit der Zunge. »Also nooh. Hasch du des gwisst?«
Rosa schüttelte den Kopf. »Haja, no wirft des ja aweng a anders Licht uff die Sach«, konstatierte sie und rückte ein Spitzendeckchen auf dem Tisch zurecht.
»Hat die Monika Silberschmidt den Florian denn öfters besucht?«
»Noh. Aber geschder, des kou wiagsocht sei, weil do hat mei Katz uff oomol bläägt.«
»Um wieviel Uhr?«
»So um elfe.«
»Hat es da nicht geregnet?«
»Ii glaab.«
Das würde die Mascaramenge auf dem Kosmetiktuch erklären, dachte sich Lisa. Kein Mensch besuchte seinen Ex zu einem One-Night-Stand und schminkte sich anschließend sorgfältig ab. Außer, das Make-up wäre zur Gothic-Optik verlaufen, dann könnte man sich so nicht mal im Bett sehen lassen.
»Jetz mach ii eich awwer doch noch gschwind an Kaffee – oder wellt ihr an Sprudel?«
Heiko wusste, dass sie anders nicht wieder weg kommen würden und sagte: »Aber bloß, wenn’s keine Umstände macht.«
Martha beeilte sich, zu versichern, dass das kein Problem sei, aber auch wirklich überhaupt kein Problem. Und schon war sie in der Küche verschwunden.
»Was glaawa denn Sie, wer der Mörder is?«, fragte Rosa Glock nun und beugte sich noch weiter vor.
Heiko konnte ihren Goldzahn unten links sehen. »Wir haben noch nicht wirklich einen konkreten Verdacht.«
Rosa nickte eifrig. »Also, die Martha, die findet den Florian ja ganz toll, abgeseha von derra wiaschta Musich. Aber wo ii des mit denna Drooga ghert hob … also … kennt des net sei, dass der und die Marion
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