Trauerweiden
endlich eine vollständige Gästeliste von dieser Junggesellenparty besorgen«, stellte Heiko fest. »Meinst du nicht, Simon? Simon?«
Der Kriminalobermeister sah hoch. »Hm?«
»Hörst du mir überhaupt zu?«
Der Angesprochene nickte geistesabwesend, und dann piepste sein Handy. Wieder mal.
»Was ist denn heut los mit dir?«, wollte jetzt auch Lisa wissen.
Der Schwabe hatte sich mit einem Raubtiergriff das Handy geschnappt und studierte nun mit verklärtem Lächeln eine SMS.
»Na, wie heißt sie denn?«, fragte Lisa.
Simon stutzte. »Wie bitte?«
»Wie sie heißt.«
Simon tippte seelenruhig seine Nachricht fertig, legte das Handy zurück auf den Tisch und sagte dann: »Regina.«
»Soso, die Regina«, machte Heiko. »Und wo hast du die jetzt auf einmal her?«
Simons Augen wurden zu schmalen Schlitzen.
»Glaubscht du etwa, ii krieg koi Frau?«
Heiko machte beschwichtigende Bewegungen mit den Händen. »Sou hobbi des doch gor net gmoont. I moon bloß … «
»Vom Internät«, informierte Simon schmollend.
»Internet?«
»Internät.«
»Ah ja.«
»Das ist gar nicht so schlecht«, gab nun Lisa zu bedenken. »Ich hatte auch mal einen aus dem Internet. Das hat Vorteile, wirklich.«
»Und welche?«, wollte Heiko wissen.
Lisa nippte am Kaffee. »Ganz einfach, du siehst gleich, ob er clever ist. Denn wenn er Sachen wie »Ich weis nicht« mit »s« schreibt, dann weißt du ja schon. Und ob er nur mit dir ins Bett will, merkst du spätestens beim ersten Date. Und die Hässlichen, Dummen und Unsympathischen kannst du elegant abservieren. Du brauchst dazu nicht mal vom Sofa aufzustehen.«
Simon nickte eifrig. »Genau.«
»Hm«, machte Heiko.
Von der Seite hatte er das noch gar nicht betrachtet. Bisher hatte er immer geglaubt, dass nur die eisernen Junggesellen und Jungfrauen zu diesem Schritt als letztem, absolut verzweifeltem, griffen.
»Ja, und habt ihr euch schon getroffen?«, wollte Lisa wissen.
»Ainmal«, sagte Simon und nickte eifrig.
»Und?«
Simon grinste. »Ja, a netts Mädle.«
»Hm«, machte Heiko, und Simon zuckte die Achseln und sagte »Haja«.
»Jedenfalls, der Fall … «, wollte Heiko nun fortfahren.
»Und wie sieht sie aus?«, unterbrach Lisa.
»Blonde, ganz kurze Haare«, erläuterte Simon.
»Blaue Augen. Zierlich. Und etwa so groß.« Er deutete Augenhöhe bei sich an.
»Hübsch?«
»Klaro.«
»Na, das würde doch passen, ich meine … das ist doch schön und … hat Potential, vielleicht?« Heiko unterdrückte ein Grinsen. Ganz prima würde das passen, denn klein, blond, blauäugig und schmächtig war Simon ja schon selber. Hübsch war schließlich auch Geschmackssache. »Ja, also vielleicht solltät ihr euch diesä Gästeliste vom Junggesellenabschied besorgän. Ich kann das erledigän.«
Heiko nickte. Endlich hatte Simon sein Gehirn wieder angeschaltet.
»Ja, mach das. Und wir schauen uns vielleicht tatsächlich nochmal die Schwester vom Florian etwas genauer an.«
Die Schusters wohnten im Goldbacher Neubaugebiet. Goldbach war ein Stadtteil Crailsheims, der für die alljährliche Ausrichtung des Lichterfestes im August bekannt war. Sie bogen vor dem Stadtteil Kreuzberg links ab, um dann einer von Obstbäumen gesäumten Landstraße zu folgen. Schon war der Kirchturm zu sehen, der alle anderen Gebäude weit überragte. Gleich am Ortseingang bogen die Ermittler nach links ein, wo die Schusters im Neubaugebiet ein Haus von beachtlicher Größe gebaut hatten. Die Steingartenmauer wirkte gepflegt, die Bodendecker wucherten nur scheinbar wild. Einzelne Buchsbaumkugeln waren zwischen Rindenmulchflächen angeordnet, das ganze Arrangement sah nach einem professionellen Gärtner aus. »Haben wohl Geld, die Schusters«, mutmaßte Heiko, als sie dem Weg zur Haustür folgten. Schließlich standen sie vor einer weißen Holztür, und Heiko entdeckte ein bemerkenswertes Detail. Auf dem Türschild waren Gänse. Vier Gänse. Das Schild war aus Salzteig, und die Gänse selbst waren weiß angemalt. Darunter stand »Schuster«, in Schnörkelschrift. Heiko hatte keine Ahnung, was Gänse mit der Familie Schuster zu tun haben sollten. Und während sie vor der Tür warteten, entdeckte Heiko sogar noch eine Besonderheit: Die Gänse hatten Namen. Sie hießen Mario, Elke, Heidemarie und Annabella. Jedes Tier trug nämlich ein blaues Halstuch, auf dem sein Name stand. Heiko betete still, dass Lisa niemals, aber auch wirklich niemals auf eine solch abstruse Idee käme. Dass sie ein
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