Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
herausgreift und sie in den Hirnregionen blockiert, in die frisch hereinkommendes Material gespeichert wird.
Merkmale: fragmentiert, leicht triggerbar, Blockade zu den Sprachzentren, zum Thalamus, zur linken Großhirnhälfte.
Subjektive Qualität: „Hier-und-Jetzt“-Erleben, vorwiegend affektiv-physiologisch (besonders mit Angst verbundene, körperliche und gefühlsmäßige Erlebnisqualitäten), ohne Integration ins Selbst.
Der Hippocampus wird auch als das „cool system“ oder das „Archiv des Gedächtnisses“ bezeichnet. Eine weitere Bezeichnung für dieses Gedächtnissystem lautet: „explizites“ Gedächtnis. Was dies bedeutet, soll das Beispiel „Als ich mir 1972 beim Skifahren das Bein brach“ erläutern: Ein solches Ereignis ist wahrscheinlich gut integriert, und seine Erinnerungsspuren haben inzwischen den Hippocampus Richtung Langzeitspeicher im Großhirn verlassen. Gut integriert ist stressreiches Erinnerungsmaterial dann, wenn es
biografisch erinnert werden kann, das heißt: Ich kann mich genau erinnern, dass es mir passiert ist (und ich es nicht etwa geträumt habe oder nur zugesehen habe, wie es jemand anderem geschah);
episodisch erinnert wird, das bedeutet: Es hat Anfang, Mitte und Ende, und ich bin nicht (wie etwa beim Träumen) versucht, alles durcheinanderzubringen;
narrativ erinnert wird, das heißt: Ich kann darüber reden (und bin nicht etwa sprachlich blockiert, wie es bei Traumamaterial aus dem Amygdala-System der Fall ist, siehe unten).
Das Hippocampus-System ist sehr gut vernetzt. Über die Sinnesrezeptoren aufgenommenes Material wird u.a. durch den Thalamus geleitet und erreicht den Hippocamus. Von dort wird es wieder durch den Thalamus zu den Sprachzentren (Broca Areale) geleitet und dort mit Zentren in beiden Großhirnhälften verknüpft, sodass die sogenannte raumzeitliche Einordnung des Geschehens ebenso möglich ist wie darüber zu sprechen und das Ereignis mit der eigenen Biografie zu verknüpfen. Material aus dem Hippocampus unterliegt auf Dauer durchaus der Verfälschung, da es wieder und wieder erzählt und „hervorgeholt“ und mit anderen Gedächtnisinhalten verknüpft werden kann. Um bei dem Ski-Beispiel zu bleiben: Im Zuge der Bildung von Lebenslegenden könnte ich, wenn ich denn ein narzisstischer Mensch wäre, die Geschichte irgendwann so erzählen: „Ich bin eine schwarze Abfahrt hinuntergesaust, als dieser Idiot mir plötzlich von links nach rechts quer über die Ski gefahren ist ...“
Während die unverfälschte Geschichte z. B. so lauten könnte: „Ich lernte gerade Ski fahren, eierte den Idiotenhügel hinunter, verlor das Gleichgewicht, verhakte beim Fallen die elend langen Bretter und kollerte kläglich mit abgeknicktem Bein noch ein paar Meter weiter.“
Ganz offenbar also ist mit Gedächtnisinhalten, die mit dem Selbst-Verständnis verknüpft sind, die Gefahr verbunden, sich aus „echten Erinnerungen“ mehr oder weniger charmante Lebenslügen zu basteln.
Ganz anders ergeht es den Erlebnissen, deren mit höchster emotionaler Erregung verbundenen Inhalte im Amygdala-System gespeichert werden, das gewöhnlich mit dem Hippocampus-System parallel arbeitet. Dieses Gedächtnissystem wird ja auch als „hot system“ oder „Feuerwehr“ oder „implizites Gedächtnis“ bezeichnet. Implizit deshalb, weil die während hohem Stress vom Amygdala-System „herausgefischten“ brisanten Erlebnisinhalte (zunächst) nicht integriert, nicht ins biografische Gedächtnis überführt werden. Stattdessen wird das aufgenommene Material und werden die unmittelbaren körperlichen und seelischen Reaktionen aufgesplittert (Metcalfe & Jacobs, 1996).
Nehmen wir das Beispiel der Fahrradfahrerin. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass sie in dem Augenblick, in dem sie realisiert: „Dieser Unbekannte zieht mich vom Rad und mit sich ins Gebüsch“, große Angst bekommt. Beide Systeme – Hippocampus und Amygdala – arbeiten parallel. Bei steigendem Stresspegel aber wird der „Temperaturfühler“ der Amygdala ausschlagen, es kommt zur Alarmreaktion. Dadurch wird das Hippocampus-System nach und nach „Ausfälle“ zeigen, das Amygdala-System hingegen wird – teilweise allein, also ohne gleichzeitige Arbeit des Hippocampus-Systems – weiter feuern. Dieses Speichern aber ist anders als im biografischen Gedächtnis.
Was die Fahrradfahrerin unter hoher Angst während des „Amygdala-Alarms“ erleben könnte, ist: plötzliche Ruhe, ein Entfremdungsgefühl ihrer
Weitere Kostenlose Bücher