Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
häufiger Wiederholung des traumatischen Geschehens, z. B. als Intrusionen oder Grübeln. Die Selbstwahrnehmung ist gestört durch Ohnmachtsgefühle, Schuldgefühle, Gefühl der Beschmutzung oder Stigmatisierung. (Miteinbezogen wird) auch eine gestörte Wahrnehmung des Täters, z. B. ständiges Nachdenken über die Beziehung zum Täter, eine unrealistische Einschätzung des für allmächtig gehaltenen Täters wie auch Idealisierung oder paradoxe Dankbarkeit. Es resultieren aus den traumatischen Erlebnissen Probleme in den aktuellen Beziehungen und auch eine Veränderung des Wertesystems.“
– Ulrich Frommberger, 2000
Wie schon im vorangegangen Kapitel erwähnt, erleben zwischen 30 und über 60 Prozent aller Menschen im Laufe des Lebens ein schweres Trauma, gekennzeichnet durch:
psychische und/oder physische Todesnäheerfahrung;
Überwältigtsein von unerträglichen Geschehnissen;
nicht davor fliehen und nicht dagegen ankämpfen können;
Abspaltung des Unerträglichen ins Traumagedächtnis, das unabhängig ist vom biografischen Gedächtnis.
Nur wiederum etwa jede/r Dritte davon muss mit langfristigen Folgen rechnen (Hidalgo & Davidson, 2000).
Diese langfristigen Folgen werden seit einigen Jahrzehnten unter dem Begriff der „Posttraumatischen Belastungsstörung“ (PTBS), englisch: Posttraumatic Stress Disorder, abgekürzt PTSD, zusammengefasst. Es gibt gute Gründe dafür, eine PTSD statt als Angststörung (wie im Diagnosehandbuch DSM-IV) – als eine chronische Form der dissoziativen Störung zu betrachten (Nijenhuis et al., 2003).
Bevor es zu dieser langfristigen und meist ohne Behandlung chronischen und lebensbeeinträchtigenden Störung kommt, versucht der Organismus viel, um ein Trauma doch noch zu integrieren.
Welche Erschütterung bedeutet ein Trauma für die gesamte Persönlichkeit?
Ein Trauma ist ein Anschlag auf die Identität des Menschen. Typische unmittelbare Folgen von traumatischem Stress drücken sich psychisch zum Beispiel so aus:
Verstörung, Durcheinandersein, „nicht wissen, wo oben und unten ist“ bis hin zum Verlust der Ich-Grenzen;
körperlich: starke Schmerzen, evtl. Schock/Ohnmacht/Koma, evtl. Umkippen in Nichts-mehr-Fühlen;
emotionales Chaos bis hin zum Nichts-mehr-Spüren (emotional numbness; emotionale Betäubung, im chronischen Fall „Seelentaubheit“);
Flut von Bildern, Gerüchen, Geräuschen, Geschmack – und „Kippen“ in Nichts-mehr-Wahrnehmen;
Verlust der Fähigkeit zur raumzeitlichen Einordnung des Geschehens – gefolgt u. U. von Nichts-mehr-Wissen.
Nach solchen Erstreaktionen, die etwas mit dem vorübergehenden Abschalten des Hippocampus-Systems und einer Amygdala-Alleinreaktion (siehe Kapitel 1 und 2) zu tun haben, versucht das Gehirn, die abgespaltenen und „weggekippten“ Inhalte zunächst spontan wieder zu integrieren. Ebenso muss das Gehirn damit fertig werden, dass es dissoziiert hat, dass es also extreme Verwirrtheitszustände und entfremdetes Erleben gab. Eine solche integrative Arbeit braucht Zeit und ist mit erheblichen körperlichen und seelischen Irritationen verbunden, die wochenlang andauern können. Diese ganz normale Reaktion nennt man Posttraumatische Belastungsreaktion, und sie hat folgende Elemente:
Die Posttraumatische Belastungsreaktion
Angstzustände und erhöhte Schreckhaftigkeit;
Albträume und Schlafstörungen;
häufiges Wiedererleben von Teilen des Traumas;
Vermeidung von (möglichst allen) Reizen, die mit dem Trauma zu tun haben;
Gefühle von Empfindungslosigkeit, losgelöst sein von anderen, Einsamkeit, Entfremdung von Nahestehenden, Kontaktunwilligkeit;
Beeinträchtigung der Wahrnehmung der Umwelt, des eigenen Körpers, eigener Gefühle;
Konzentrations- und Leistungsstörungen.
Sie sehen, das Gehirn und der ganze Mensch mühen sich in diesen ersten Tagen und Wochen nach einem traumatischen Geschehen sehr, Körper und Seele einerseits zu schonen, andererseits das Geschehen zu begreifen und zu integrieren. Dabei scheint der Organismus in zwei Richtungen gleichzeitig getrieben zu werden: „Weg damit!“ und: „Hier sind wieder Teile davon – werde damit fertig!“
Die Zeit nach dem traumatischen Stress ist ebenfalls eine enorm stressreiche Zeit. So manches Kind und mancher Erwachsene zieht sich von anderen in der Folgezeit nach dem Trauma sehr zurück: Man hat etwas erlebt, das einen von anderen unterscheidet. So als würden alle anderen Menschen einfach fröhlich weitergehen, während man selbst erlebt hat, dass der
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