Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
silbernen, schulterlangen Locken umrahmt ist. Doch ihre Bewegungen wirken fahrig, die Stimme ist immer eine Tonlage zu laut und rau, der Gang wackelig, der Blick unstet. Während der guten Stunde, die wir in ihrem Haus (bzw. dem Haus ihrer Schwiegertochter) verbringen, wird sie etwa zehn Zigaretten anzünden und nur teilweise rauchen, wird dreimal aus dem Wohnzimmer eilen und wieder hereinkommen, wird Kaffee und Saft servieren mit ungelenken, zittrigen Bewegungen. Sie und die Betreuerin setzen sich auf ein Sofa nebeneinander, die Übersetzerin und ich drücken uns auf das seitlich davon befindliche, die Mutter sitzt im Sessel und kommentiert gelegentlich voller Sorge um ihre Tochter, die offenbar kurz davor ist, vollkommen zusammenzubrechen.
Auf Anhieb ist zu erkennen, dass Zene nur mit einem kleinen Rest ihres Verstandes noch in der Gegenwart ist. Immerzu gleiten ihre Erzählungen ab in die Schilderungen von Details der entsetzlichen Grausamkeiten der serbischen Paramilitärs und Polizisten, in Trauerreaktionen, in Wutausbrüche. Äußerlich bleibt die Betreuerin bewundernswert ruhig. Sie sitzt dicht neben der Klientin, nimmt des Öfteren (allerdings ohne für mich erkennbaren Anlass) deren Hand, klopft ihr auf Schulter und Rücken, legt die Hand auf ihr Bein und hält so auf alle erdenkliche Weise jeweils bis zum Weglaufen der Klientin den Körperkontakt. Sie bemüht sich, die Klientin zu beruhigen, wechselt aber unvermittelt dazu, ihr zu sagen, es hätte ja noch viel schlimmer kommen können (die Klientin bejaht: Ich hätte auch noch die und die Menschen verlieren können ...), meint immer wieder, Zene sei sehr stark, die Toten wollten sie froh und stark sehen etc. Mir scheint, dass die Betreuerin solche Bemerkungen macht, weil sie selbst gerade den Schmerz der Klientin nicht erträgt. Erst später lerne ich, dass dies meine kulturspezifische Sichtweise ist. Für Kosovarinnen mit ihrer kollektiven Geschichte und ihrem politischen Stolz ist dies durchaus eine möglicherweise hilfreiche Intervention.
Manchmal, wenn Zene hinausläuft, empfehle ich leise, einfach nur ruhig die Klientin abzulenken und sie auf ihre Ressourcen, also das, was sie kann und gerne tut, anzusprechen. Dann versucht die Betreuerin es, und Zene geht auch immer ganz kurz darauf ein: auf den Garten, den sie bestellt. Darauf, wie sie, sofort als sie zurückkam – sie kam praktisch mit den ersten Nato-Soldaten nach G. zurück –, darauf bestanden hat, den Soldaten das kaputte Haus zu zeigen, und so war ihr Haus (das Hinterhaus) das erste, das wieder aufgebaut war, von allen Häusern in G.
Doch flugs ist die Klientin wieder bei der Schilderung des Blutes, das überall im Hof war, als sie zurückkam. Sie schildert, wie sie zehn Gräber mit bloßen Händen freigelegt und aufgerissen hat, bis sie „ihre“ Toten fand. Dass sie dabei auf ein Grab stieß, in dem ein junges Mädchen lag mit langen braunen Haaren. Dass sie einen Schuh des Mädchens genommen, das Mädchen wieder beerdigt und den Schuh auf das Grab gestellt habe, damit die Angehörigen des Mädchens es auf diese Weise identifizieren könnten. „Ja, ich bin stark“, strahlt sie dabei mit fiebrigglänzenden Augen.
Und weiter geht es im Parforce-Ritt ihrer springenden Gedanken und manischen Redeweise. Unvermittelt betont sie, keinen Arzt zu brauchen, sie habe kein Trauma, „Was soll das sein, Trauma“, das sei alles Quatsch. Gefolgt von einer Schilderung der Wutausbrüche, die sie den kleinen Enkelkindern gegenüber hat, und dass sie diese schlägt, „hinterher tut es mir dann immer leid“. Und dass sie schreie, „jawohl, ich muss schreien, ganz laut, nachts mit den Türen schlagen, meine Mutter wundert sich dann immer, und ich rufe dann, ich bin’s“.
Und einen Hass habe sie, einen solchen Hass. Als sie zurückkam, sah sie ein paar Häuser weiter in einem „Serbenhaus“ zwei Frauen am Fenster. Und sie habe solch eine Wut bekommen, dass sie Steine gegen die Fenster des Hauses schleuderte und rief: „Seid ihr immer noch da?!“ Leider habe sie nicht getroffen, da sich die Gesichter vom Fenster zurückgezogen hätten. Aber sie sei drangeblieben, hinter ihnen her, jawohl, ins Haus gestürmt, wo gerade in der Küche das Essen zubereitet wurde. Und da habe sie die Pfannen und Töpfe gegen die Wand geschleudert, mit allem, was drin war, und habe nach den beiden Frauen gesucht, um sie umzubringen. „Und ich hätte sie umgebracht, mit meinen eigenen Händen, jawohl, und das hätte
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