Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
auswirken. Im Folgenden werde ich Siegels Überblicksartikel zusammenfassen (siehe auch: Siegel, 1999).
Wenn das Kind eine Erfahrung macht, so bedeutet dies immer auch eine Aktivierung von Nervenzellen. Erfahrung formt daraufhin auch die Funktion der Nervenaktivität in jedem gegebenen Augenblick der kindlichen Entwicklung. So kann z. B. zwischenmenschliche Erfahrung die kontinuierlich sich verändernde Struktur des Gehirns während des gesamten Lebens formen. Jüngste Ergebnisse aus den Neurowissenschaften weisen tatsächlich darauf hin, dass das Gehirn während des gesamten menschlichen Lebens plastisch und offen für weitere Umgebungseinflüsse bleibt. Diese Plastizität kann nicht nur zur Schaffung neuer synaptischer Verbindungen zwischen Nervenzellen führen, sondern auch das Leben lang neue Neuronen wachsen lassen.
Die Fähigkeit eines Kindes mit einer bestimmten Bindungserfahrung, den daraus entstehenden Bindungsstil noch jenseits der frühen Lebensjahre zu verändern, mag mit dieser Fähigkeit des Gehirns zusammenhängen, kontinuierlich als Reaktion auf Lebenserfahrungen zu „wachsen“. Dies sollte uns jedoch nicht dazu verführen zu glauben, die frühe Bindungserfahrung sei unwichtig. Im Gegenteil.
Wie bereitet das Gehirn Bindungserfahrungen vor?
Es gibt genetisch eine Überproduktion von Nervenzellen vor der Geburt und von neuronalen Schaltstellen in den ersten drei Lebensjahren. Das Gehirn scheint also einen eingebauten Mechanismus zu haben, der zur neurobiologischen „Gründung“ der sich entwickelnden Psyche führt. Während das Kind heranwächst, dient dieses neuronale Substrat als die Struktur, aus der grundlegende Erfahrungen die Neuronen-Verbindungen „herausschälen“, etwa Wahrnehmung und motorische Aktivität. Diese frühe Form der Hirnentwicklung, die manche Neurowissenschaftler als „erfahrungs-bereit“ (experience expectant) bezeichnen, funktioniert aufgrund der genetisch codierten Synapsenbildung. Diese Bildung von Nerven-Schaltstellen erfordert eine minimale Menge an Umweltstimulation, wie etwa Darbietung von Licht oder Geräuschen.
Mangelnder Gebrauch („Use-it-or-lose-it“), etwa aufgrund von Vernachlässigung, oder toxische Bedingungen wie exzessiver Stress, z. B. Kindesmisshandlung, können beim Säugling zur Eliminierung bereits bestehender Nervenverbindungen führen!
Ein gegensätzlicher Prozess, der manchmal „erfahrungs-abhängige“ (experience-dependent) Entwicklung genannt wird, bedeutet, dass Erfahrungen neue Nervenverbindungen entstehen lassen.
Da frühe zwischenmenschliche Erfahrungen so wichtig sind für die menschliche Entwicklung, hat Daniel Siegel den Spruch geprägt:
„Zwischenmenschliche Begegnung lässt die Nervenverbindungen wachsen, aus denen die Psyche entsteht.“ (Siegel, 1999)
Nun sollte dies Eltern nicht dazu veranlassen zu glauben, sie müssten ein Baby pausenlos stimulieren, um ihm möglichst viele frühe positive Lernerfahrungen zu bieten. „Viel hilft viel“ stimmt auch hier nicht. In einer „durchschnittlichen“ Umgebung, welche die notwendige Menge an sensorischer Stimulation bietet, um die notwendige Portion dieser genetisch geschaffenen und hochgradig dichten synaptischen Schaltkreise aufrechtzuerhalten, wird sich das Gehirn gut entwickeln.
Die Bindungsforschung verweist also darauf, dass als Schlüssel zur gesunden Entwicklung die wechselseitig sich beeinflussende zwischenmenschliche Interaktion betrachtet werden kann, nicht die (exzessive) sensorische Stimulation.
Entwicklung handelt von der Schaffung spezifischer Schaltkreise, nicht nur von der Gesamtmenge von Synapsen im Gehirn. Wie sich die Schaltkreise entwickeln, die emotionales und soziales Verhalten regeln, wird zutiefst beeinflusst durch zwischenmenschliche Erfahrungen, die früh im Leben beginnen. Es gibt Schaltkreise, die für emotionales und soziales Verhalten verantwortlich sind und in den ersten Lebensjahren „online gehen“.
Feinfühligkeit
Die orbitofrontale Region im Gehirn, die zentral ist für eine Reihe von Prozessen wie Gefühlsregulation, Empathie und autobiografisches Gedächtnis, macht zum Beispiel eine erfahrungsabhängige Entwicklung durch, die von der Art der zwischenmenschlichen Kommunikation in den ersten Lebensjahren, auf gut Deutsch: der Bindungserfahrung, abhängig ist. Interaktionen mit „älteren Menschen“, also nicht mit Kindern, sondern mit Bindungsobjekten wie der Mutter, sind in dieser frühen Zeit wesentlich, um die
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