Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
18. Monat entsteht das „subjektive Selbst“ (subjective self), das zwischen Selbst und Selbst-mit-Anderen unterscheidet, wobei Letzteres die zwischen fürsorglicher Person und Kind gemeinsam geteilten Aufmerksamkeiten, Absichten und Emotionen enthält. Bis zum zweiten Geburtstag hat das „verbale Selbst“ begonnen, Worte mit der fürsorglichen Person zu teilen, sich mitzuteilen. Danach entwickelt sich ein „narratives Selbst“, bei dem autobiografische Erzählungen eine Hauptrolle spielen.
Antonio Damasio (1995) hat drei sich entwickelnde Formen des Selbst unterschieden. Innerhalb tiefer Strukturen des Gehirns, in denen sensorische Informationen aus der Außenwelt (Wahrnehmungen) und aus dem Körper (via „somatosensorisches System“) abgebildet werden, entsteht das „Proto-Selbst“ (proto-self). Dieses entspricht einer direkten Erfahrung des Gehirns von der Außen- und Körper-Welt. Hier entstehen neuronale Landkarten „erster Ordnung“. Innerhalb höher geordneter Schaltkreise des Gehirns gibt es neuronale Prozesse, die eine Landkarte „zweiter Ordnung“ des Proto-Selbst erstellen, wie es durch seine Interaktion mit der Welt/dem Körper verändert wird. Diese höheren Hirnregionen sind in der Lage, eine neuronale Landkarte des Proto-Selbst vor der Interaktion und dann ein Proto-Selbst unmittelbar nach der Interaktion mit der Welt/dem Körper zu erstellen. Dieser Veränderungsprozess definiert das „Kern-Selbst“. Das darin entstehende erhöhte Gefühl für Bewusstheit nennt Damasio das „Kern-Bewusstsein“ – eine „Hier-und-Jetzt“-Erfahrung konzentrierter Aufmerksamkeit. Eine dritte, höhere Gruppierung neuronaler Strukturen ist dann verantwortlich für das „erweiterte Bewusstsein“ (extended consciousness), in dem neuronale Landkarten „dritter Ordnung“ die Veränderungen im Kern-Selbst über die Zeit hinweg auswerten. Auf diese Weise wird es dem Gehirn möglich, ein „autobiografisches Selbst“ zu entwickeln, das die Geschichte des Individuums aufzeichnet, sie mit gegenwärtigen Erfahrungen vergleicht und es auf die Zukunft vorbereitet.
Ein wesentlicher Aspekt des Selbst ist der einer „Autonoesis“ oder „Selbst-Erkenntnis“, wie sie in autobiografischen Erzählungen aufscheint. Die Bindungsforschung hat festgestellt, dass eine der wichtigsten Vorhersagewerte für die Bindung eines Säuglings an das Elternteil die autobiografische narrative Kohärenz dieses Elternteils ist (Hesse, 1999). Die narrative Kohärenz oder frei übersetzt etwa den „erzählerischen Zusammenhang“ kann man untersuchen, indem man den freien und flexiblen Informationsfluss feststellt, wenn eine Person die Geschichte ihres Lebens erzählt, beginnend mit ihrer Erinnerung an ihre frühesten Erfahrungen. Dies wird mit dem Instrument des Adult Attachment Interview gemessen, in dem man als erwachsener Mensch die eigenen Erinnerungen an die frühesten Erfahrungen mit ihren eigenen Eltern berichtet. Der so gemessene Bindungsstil, der bei Erwachsenen „Bindungsrepräsentanz“ genannt wird, scheint zusammen mit der „Feinfühligkeit“ (attunement) der (zukünftigen) Eltern die entscheidenden Faktoren zu liefern, die selbst ein Jahr vor der Geburt eines Kindes voraussagen lassen, wie sein Bindungsstil sein wird: sicher, unsicher oder desorganisiert (Fonagy et al., 1991).
Bindungsstörung
Wenn zur desorganisierten Bindung häufige, wiederholte, unvorhersehbare und willkürliche Traumata hinzukommen – oder wenn desorganisierte Bindung aufgrund solcher Traumatisierungen entstanden ist –, dann entwickeln Kinder in der Regel eine Bindungsstörung. Der Münchner Pädiater Karl-Heinz Brisch hat in seinen Büchern (2001, 2003) solche Folgen gewaltsam zerstörter Bindungserfahrungen benannt:
Bindungslosigkeit (das Kind fürchtet und meidet jede Form von Bindung);
Promiskuität (jede/r Beliebige wird als „beste Bindungsperson“ gewählt);
Übererregung (jede Trennung von einer Bindungsperson wird vermieden);
Hemmung (sich der Bindungsperson anzunähern);
erhöhtes Unfallrisiko (weil die Eltern danach wenigstens für kurze Zeit aufmerksam sind);
Rollenwechsel/Parentifizierung (das Kind muss die Elternrolle übernehmen, die Eltern benehmen sich „kindisch“);
psychosomatische Auffälligkeiten (das Kind reagiert körperlich auf Irritationen hoch erregt).
Traumatisierte Eltern, die nicht an ihrer Traumatisierung bewusst gearbeitet haben, um sie zu integrieren,
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