Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
Art von feinfühliger Kommunikation entstehen zu lassen, die zur angemessenen emotionalen und sozialen Entwicklung des Kindes führt. Diese sich wechselseitig beeinflussende „Stimmigkeit“, die sich in „Feinfühligkeit“ (attunement) zwischen Erwachsenem und Kind ausdrückt – sie ist es (nicht exzessive sensorische Stimulation), die in dieser frühen Zeit benötigt wird. Sie nämlich lässt Muster von Interaktionen entstehen, durch die der fürsorgliche Erwachsene die positiven und negativen emotionalen Zustände des Kindes regulieren kann. Solche emotions-regulierenden Interaktionen braucht das Baby für die Reifung seines emotionalen und sozialen Gehirns. Um sich auf den Säugling entsprechend feinfühlig einstellen zu können, muss die erwachsene Bindungsperson die Signale des Kindes
wahrnehmen, muss sie
richtig interpretieren, muss darauf
angemessen reagieren, und zwar
prompt (Brisch, 2002).
Immerhin etwa 60 Prozent aller „Bindungspersonen“ (in der Regel die Mütter) können das, und so kommt es, dass etwa ebenso viele einjährige Kinder bereits eine sichere Bindung aufweisen. Bei ihnen verläuft dann auch die Entwicklung der Hirnregionen optimal, die für emotionales und soziales Verhalten zuständig sind. (Aber bei einem Drittel aller einjährigen Kinder ist das nicht so!)
Gedächtnis
Gedächtnis ist die Art und Weise, wie vergangene Erfahrungen im Gehirn aufbewahrt werden und wie sie das gegenwärtige und zukünftige Verhalten beeinflussen. Im ersten Lebensjahr verfügt das Baby über ein „implizites“ Gedächtnis, das emotionale, Verhaltens-, Wahrnehmungs- und vermutlich Körper-Erinnerungen speichert. Das implizite Gedächtnis schließt die Generalisierungen wiederholter Erfahrungen, genannt „mentale Modelle“ oder „Schemata“, ein. Die Art, wie das Gehirn sich bereit macht, bestimmte Erinnerungen als Reaktion auf spezifische Hinweisreize aufzuspüren, ist ebenso ein Teil des impliziten Gedächtnisses und wird „priming“ genannt.
Wenn implizite Erinnerungen aktiviert werden, dann ist dies nicht verbunden mit einer inneren Empfindung, dass gerade etwas erinnert wird. Sie beeinflussen lediglich unsere Gefühle, Verhaltensweisen und Wahrnehmungen direkt, im Hier und Jetzt, ohne dass wir uns bewusst wären, dass da eine Verbindung zur Vergangenheit hergestellt wurde. Dies ist die Reaktion des Amygdala-Systems.
Etwa Mitte des zweiten Lebensjahres beginnen die Kinder eine zweite Art von Gedächtnis zu entwickeln: das „explizite“ Gedächtnis, für das der Hippocampus so wesentlich ist. Es enthält zwei Formen: eine faktische (semantische) und eine autobiografische („episodische“). Beide Formen sind verbunden mit einer inneren Empfindung: „Ich bin gerade dabei, mich an etwas zu erinnern.“ Für das sich später entwickelnde autobiografische Gedächtnis gibt es auch ein Gefühl für das Selbst zu einer Zeit in der Vergangenheit („So war ich damals.“).
Babys haben nur die implizite Form des Gedächtnisses zur Verfügung. Dass und wie ihre Psyche in den ersten Lebensmonaten geformt wurde, wird ihnen später nicht zugänglich sein. Dies ist die normale, überall vorfindbare „Kindheitsamnesie“.
Erst nach dem ersten Geburtstag beginnt die Reifung des Hippocampus im medialen Temporallappen; dieser ist wesentlich für das explizite Gedächtnis. Und noch später erst wird ein Teil des Frontalhirns, der präfrontaler Cortex genannt wird, genug gereift sein, damit sich der Jugendliche und erwachsene Mensch an autobiografisches Material erinnern kann.
Selbst
Der Psychiater und Pädiatrie-Forscher Daniel Stern hat untersucht, wie das Selbst sich in den ersten Lebensjahren in mehreren Stadien aus den zwischenmenschlichen Beziehungen heraus entwickelt (Stern, 1985). Von der Geburt bis zum zweiten Lebensmonat beginnt beim Baby ein „entstehendes Selbst“ (emerging self), bei dem der Körper sensorische Daten aufnimmt und das Baby einen ersten rudimentären Eindruck entwickelt von der Organisation der Welt, die es direkt erlebt. Vom zweiten/dritten Monat bis zum siebten bis neunten Monat beginnt das Kleinkind ein erstes „Kern-Selbst“ (core self) zu entwickeln, dessen zentrale Merkmale das Gefühl des Kindes für
Handlungsimpulse (das Zentrum des Willens),
Kohärenz (Empfindungen des Körpers),
Affektlage (Gefühlszustände) und
Kontinuität (ein Gefühl für das Selbst über die Zeit hinweg in Form von Erinnerung) sind.
Vom neunten bis ungefähr
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