Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
als Kind und dem des erwachsenen Menschen festzustellen.
Unsicher-vermeidende Bindung
Menschen mit einer unsicher-vermeidenden Bindung neigen als Erwachsene dazu, nahe Beziehungen eher ablehnend bis entwertend zu beschreiben, etwa so:
„Ich brauche keine nahen emotionalen Beziehungen. Mir ist es vor allem wichtig, mich unabhängig zu fühlen und mir selbst genug zu sein. Von anderen abhängig zu sein kann ich nicht leiden, und genauso wenig, wenn andere von mir abhängig sind.“
Diese Reaktion verweist darauf, dass dieser Mensch als Kind der Mutter „zu viel war“ oder von ihr abgelehnt wurde und gelernt hat, dass man die Erwachsenen besser nicht behelligt mit eigenen Wünschen. Ob die vielen „obercoolen“ Jugendlichen eine entsprechende Botschaft ihrer Eltern allzu gut verinnerlicht haben? Und ob sie in der Lage sind, diese Haltung zu überwinden, oder werden sie als Erwachsene ebenso denken?
Unsicher-ambivalent schließlich ist der Bindungsstil solcher Menschen, die noch mit den frühen Bezugspersonen verstrickt sind, an neuen Bindungspersonen geradezu klammern, zumindest innerlich, gleichzeitig aber wütend und ärgerlich auf sie sind. Diese Ambivalenz – ursprünglich eine angemessene Reaktion auf unsicher gebundene Bezugspersonen und deren unvorhersehbare Verhaltensweisen – könnte man etwa so beschreiben: „Ich habe große Sehnsucht danach, in nahen Beziehungen sehr eng und verschmelzend mit der anderen Person zu sein. Leider mache ich häufig die Erfahrung, dass ich es dann doch nicht lange so eng aushalte, oder dass die andere Person mir nicht so nahe kommen möchte, wie ich es gerne will. Ohne nahe Beziehung fühle ich mich nicht wohl. Manchmal mache ich mir Sorgen, warum es wohl so ist, dass ich anderen nicht so viel bedeute wie sie mir.“
Persönlichkeitsstörungen
(zurück zu: Kapitel 5 – Welche Diagnosen kann man nach Traumata bekommen, und was taugen sie?)
Beide Formen von unsicherer Bindungsrepräsentanz – die eher ablehnend/entwertende und die unsicher-verstrickte Form – kommen häufig bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen vor. Kein Wunder, ist doch das Hauptkennzeichen der Persönlichkeitsstörungen die Störung der Beziehungsfähigkeit. Und: Zwischen 60 und über 90 Prozent der Persönlichkeitsstörungen haben Traumata, sehr häufig frühe Traumata, als Hintergrund. (Zum Weiterlesen: Atkinson & Zucker, 1997; Bindungsforschung und Persönlichkeitsentwicklung, 2001; Brady et al., 2000; Cassidy & Shaver, 1999; Driessen et al., 2002; Ellason et al., 1996a,b; Fullerton & Ursano, 1997; Gunderson & Sabo, 1993; Johnson et al., 1999; Kendler et al., 2000; van der Kolk et al., 1994; Liotti & Pasquini, 2000; McCann & Pearlman, 1990; Neumann et al., 1996; Overkamp et al., 1997; Paris, 1997; Perris & McGorry, 1998; Silk et al., 1995; Wilson & Keane, 1996)
Unsicher-desorganisierte Bindung
Neben diesen drei Bindungsstilen stellte sich heraus, dass eine vierte, erst als eine Art Restkategorie behandelte Art der Bindung von Kindern auch ein eigenständiges Bindungsmuster darstellt: die sogenannte unsicher-desorganisierte Bindung. Und diese Kinder sind mit noch höherer Wahrscheinlichkeit zutiefst verstört, weil sie früh verlassen, vernachlässigt, verängstigt und/oder körperlich oder sogar sexuell gequält wurden.
Bei desorganisiert gebundenen Kindern wird schon in der frühen Testsituation der „Fremden Situation“ mit 12 bis 18 Monaten ein bizarres Verhalten festgestellt, das auf hochgradige Verstörung hinweist. Sie zeigen:
widersprüchliche Verhaltensmuster, kurz hintereinander oder auch gleichzeitig;
ungerichtete, fehlgerichtete, unvollständige und unterbrochene Mimik oder Gestik;
seltsame Bewegungen in einem schlechten „Timing“ oder nehmen bizarre Posen ein;
„eingefrorene“, erstarrte und verlangsamte „Unterwasser-Bewegungen“ in Mimik, Gestik und Körperhaltung;
eindeutige Anzeichen dafür, dass sie sich vor der Bezugsperson fürchten; manchmal gibt es auch eine seltsame „Nicht-Reaktion“ bei Wiedereintreffen der Bezugsperson;
klare Anzeichen für Desorientierung in Raum und Zeit (Main & Solomon, 1986).
Die desorientierten und desorganisiert gebundenen Kinder müssen mit einem Dilemma fertig werden: Sie haben Angst vor den Menschen, denen sie sich von der Natur her zuwenden müssen. Sie entwickeln kein kohärentes „Arbeitsmodell“, also keine verlässliche Bindungsrepräsentation im späteren Leben, und was das Schlimmste ist: Ihnen fehlt dann die
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