Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
kann es jederzeit tun – einer meiner Angehörigen hat es ja auch getan.“
Leider ist es real so, dass dies nicht den eigenen Suizid verhindert, sondern die Wahrscheinlichkeit dafür, statistisch gesehen, erhöht (siehe weiter unten).
Besonders häufig werden jene Menschen Gedanken an den „Freitod“ hegen, die gegen ihren Willen schon einmal in Todesnähe gezwungen wurden: Wer zwischenmenschliche Gewalt erlitten hat, insbesondere frühe und langjährige Gewalt, wird mit einem untergründigen Gefühl kämpfen, dass das Leben nicht lebenswert sei. Oder als ob es eigentlich schon vorüber sei, seitdem man traumatisiert wurde, man selbst sei nur eine Art „Zombie“. Oder man wird zumindest in Krisenzeiten eine Todessehnsucht entwickeln, die sich bis zur akuten Suizidalität steigern kann. All diese Faktoren gehören zur „chronischen Posttraumatischen Belastungsstörung“. Weshalb das so ist, und welche verschiedenen Motive und Gründe es für Suizidalität geben kann, damit soll sich dieses Kapitel näher beschäftigen.
PTSD und Suizidgefahr
Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) – auch nach nur einmaligem Trauma – weisen bereits eine achtfach erhöhte Rate an Suizidversuchen gegenüber der Allgemeinbevölkerung auf (Frommberger, 2000).
Eigentlich sollte man doch meinen, ein Mensch, der ein Inferno überlebt hat, werde in Zukunft nichts so sehr fürchten, wie noch einmal in eine todesnahe Situation zu geraten. Das stimmt auch. Einerseits. Dies gehört zu den Vermeidungsreaktionen, die ja individuell sehr intensiv ausgeprägt sein und mit einem Rückzug in „ungefährliche“ Lebensbereiche einhergehen können – im Extremfall kann es sein, dass Menschen gar nicht mehr aus der Wohnung gehen, weil sie jede potenzielle „Gefahr für Leib und Leben“ auf ein Minimum reduzieren wollen – dies gehört zur sogenannten Konstriktion. Viele haben also einerseits eine große Furcht vor erneuter Lebensgefahr.
Andererseits erlebt ein Großteil des Drittels der traumatisierten Menschen, die eine längerfristige Posttraumatische Belastungsstörung entwickeln, phasenweise eine seltsame Todessehnsucht oder Lebensmüdigkeit, die wie ein chronisches Leiden werden und eine suizidale Depression, die „Krankheit zum Tode“, auslösen kann (Mann, 1998).
Vielleicht „kranken“ sie lediglich an dem Sich-nicht-abfinden-Können damit, dass in ihrem Leben etwas geschah, nach dem nichts mehr so ist, wie es vorher war. Vielleicht haben sie abrupt einen nahestehenden Menschen verloren, mussten einen lebensbedrohlichen Unfall verkraften oder sind Opfer oder Zeuge einer Gewalttat geworden.
Oder sie könnten zu Recht sagen: „Im Vergleich zu meiner Kindheit und Jugend geht es mir jetzt glänzend“, doch sie spüren, dass die Misshandlungen, die Verluste und das Unglück ihrer Kindheit in ihnen weiterwirken, untergründig weiterquälen, hinter der Fassade des alltäglichen „Machens“ und „Schaffens“ Sinnlosigkeit und Einsamkeit hinterlassen haben (Katschnig & Demal, 2000).
In all diesen Fällen wünschen sie sich, stabiler zu sein, gesünder – was auch immer das heißen mag. Vielleicht: weniger Kopf- und andere psychosomatische Schmerzen, weniger Schlafstörungen, weniger hektisch und irritierbar sein bei Stress. Vielleicht wünschen sie sich ein stärkeres Selbstwertgefühl. Möglicherweise wünschen sie sich auch, dass die latente Verzweiflung, die wie ein Nachhall tief verstörender Ereignisse in ihnen nachzuklingen scheint, endlich von ihnen weichen möge.
Wir können nicht behaupten, über Gedanken und Gefühle zum Thema Suizid, Selbsttötung, Selbstmord, den Freitod oder wie auch immer der Akt der absoluten Selbstvernichtung genannt wird, zu sprechen, ohne dass von einem bestimmten Gefühl die Rede ist: von Verzweiflung.
Wer versucht, sich an den Ursprung der tiefen Verzweiflung, meist den dunkelsten Moment der eigenen Lebensgeschichte, zu erinnern: Wodurch war er gekennzeichnet? War es die ruhige Gewissheit, nun werde es nicht mehr schlimmer kommen, jetzt sei die Talsohle erreicht? Nein, wahrscheinlich nicht. Vermutlich war der schlimmste Moment derjenige, an dem man dachte: Jetzt ist alles aus. Jetzt geht nichts mehr. An dem man sich psychisch, vielleicht sogar körperlich, dem Tode nahe fühlte. An dem die erste Lähmung („Freeze“) eintrat, etwas erdulden zu müssen, das einfach zu viel war. Man gibt in einer solchen von außen aufgezwungenen Situation nicht gleich auf. Man
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