Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
Soziologin oder Politologin. Sondern die einer Traumatherapeutin. Auch unter uns TherapeutInnen diskutieren wir das Thema Suizid natürlich immer wieder ausgiebig. Denn Todesangst und Todessehnsucht von traumatisierten Menschen zu erkennen, anzuerkennen und wo möglich lindern zu helfen ist ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit. Von den zahlreichen Diskussionsbeiträgen von Kollegen möchte ich hier die zusammenfassende Erkenntnis eines amerikanischen Kollegen übersetzt wiedergeben, der sich auf das Thema Depression und Suizidalität spezialisiert hat.
„In meiner über 25-jährigen Erfahrung als Psychotherapeut, plus meiner Sammlung kontrollierter empirischer Studien, sehe ich eindeutige Hinweise darauf, dass das, was wir psychische Störungen nennen, der kumulative Effekt von Traumata ist. Die am besten untersuchte Störung ist die Depression, und ich kenne über 75 kontrollierte empirische Studien mit insgesamt mehreren Tausend Teilnehmern (plus Kontrollgruppen), die Depression (und mehrere andere Störungen) mit Trauma in Verbindung bringen, und zwar mit signifikantem Ergebnis ..., sodass anerkannte Forscher wie z. B. Kentler (der früher an den Einfluss der Gene glaubte ...) heute in dieser Hinsicht den Begriff ,kausal‘ verwenden und nicht mehr ,Korrelation‘. Viele KollegInnen teilen solche Beobachtungen: Kindheitstraumata verursachen Depression.“ (Whitfield, 2002)
Beispiel
Ein Beispiel aus meiner eigenen Praxis soll dies illustrieren. Nur einmal, und ich hoffe, es bleibt bei diesem einen Mal, habe ich erlebt, dass sich eine Klientin von mir suizidiert hat. Es war eine damals rund 30-jährige Frau, ich nenne sie hier Frau Aller, die ich in Krisenintervention übernahm, nachdem sie mir am Telefon erzählt hatte, dass ihre ehemalige Therapeutin ihr keinen Platz mehr anbieten konnte, ihr aber empfohlen hatte, sich an mich zu wenden. Insgesamt habe ich sie rund zehnmal gesehen. In dieser Zeit wurde deutlich, dass sie, die in ihrer gesamten Kindheit massiver körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen war (wofür es auch Akten gab), sich anlässlich einer Familienfeier wie so oft mit ihrer Herkunftsfamilie getroffen hatte; dass sie nie aufgehört hatte zu hoffen, endlich Gehör und Aufnahme zu finden, sich mit den Eltern zu versöhnen, doch stattdessen wurde sie als Schwarzes Schaf bezeichnet, das unfähig sei, mit den eigenen Kindern umzugehen – sie hatte tatsächlich eine Jugendamtsmaßnahme beantragt und auch bekommen, nachdem ihr Kind nach einem Besuch der Großeltern offenkundig vom Großvater sexuell misshandelt worden war. In den zehn Sitzungen wurde der Klientin deutlich, was nötig war: Sich von den Eltern – mit denen sie eine intensive Hass-Liebe verband – weiter zurückzuziehen, ihre Gewalterfahrung aufzuarbeiten und ihre Kinder vor weiterer Misshandlung zu schützen. Mehrfach versuchte Frau Aller, mit ihren Eltern in diesem Sinne zu sprechen, doch sie erntete Verachtung und Spott – und Ausgrenzung, was ihre Versuche, doch noch den Kontakt zu behalten, eher verstärkte. Eine Dynamik, wie sie in vielen Misshandlungsfamilien zu finden ist. Deutlich war also auch: Wir würden uns dem Thema langsam und mit „zwei Schritte vor, einen zurück“ nähern müssen. Würde sie lernen können, so für sich einzustehen, dass sie ggf. auch eine Trennung von der Misshandlungsfamilie schaffen könnte, falls sie dort weiterhin emotional gequält würde?
Frau Aller war in Bezug auf die Kontakte zu ihren ehemaligen Misshandlern – engste Familienangehörige – hin und her gerissen, doch eines wollte sie unbedingt: die Krisenintervention bei mir in eine Langzeittherapie umwandeln. Sie kämpfte bei ihrer Krankenkasse dafür, denn eigentlich war durch die frühere Therapie ihr „Stundenkontingent“ für Psychotherapie schon ausgeschöpft. Erstaunlicherweise schaffte sie es: Sie bekam 50 Stunden zusätzlich bewilligt. In die nächste Sitzung brachte sie einen Blumenstrauß und ein Kuscheltier mit und bedankte sich bei mir für die bisherige Arbeit und meine Geduld. „Ich habe mich noch nie so verstanden und aufgehoben gefühlt.“ Wir sprachen über die nächsten Behandlungsschritte, die ihre Stabilität fördern, den Konsum an Beruhigungs-, Schmerz- und Schlafmitteln allmählich herunterfahren und sie an das Thema „Sicherheit für mich und die Kinder“ heranführen sollten. Als sie mir beim Abschied die Hand schüttelte, hatte ich nicht den Schimmer einer Ahnung, dass ich sie
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