Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
ich auch noch meine Therapiekosten bezahlen und gelte als ,gestört‘!“ Nach dieser Logik wird dann auch die TherapeutIn zur TäterIn, wenn sie sagen muss, dass die Kassenfinanzierung ausläuft und entweder die Therapie beendet wird oder die KlientIn selbst die Kosten tragen muss. „Ich habe aufgrund der jahrelangen Gewalterfahrungen nicht die Ausbildung und Abschlüsse machen können, die ich von der Intelligenz oder meinen Fähigkeiten her hätte machen können – nun krebse ich mit sehr wenig Geld herum und muss auch noch die Therapiekosten zahlen!“ Manchmal wird die Selbstverletzung wie auch andere Torpedierungsversuche der Therapie dann von einer KlientIn eingesetzt, um sich an der Gesellschaft oder der „TäterIn TherapeutIn“ zu rächen.
Umgekehrt reagieren dann viele TherapeutInnen – wenn sie, wie es nur allzu oft geschieht, in eine der zahlreichen Übertragungs- und Gegenübertragungsfallen der Traumaarbeit geraten sind – ihrerseits mit Täterverhalten: Sie werden zynisch, beschuldigen die Überlebende, schuld an ihrer Misere zu sein, machen sich über sie lustig, beschimpfen und demütigen sie.
Ärztinnen geraten besonders leicht durch ihr notwendig gewordenes Verhalten in die Tätersituation, und manche agieren dann auch ihre Wut an der Patientin aus: Wenn eine Ärztin einer Frau einen Magenschlauch in den Mund zwingt, wenn sie sie künstlich ernähren, ihre Wunden vernähen, sie katheterisieren muss (weil die Patientin z. B. durch Hungern oder Nicht-Trinken oder Drogen oder Medikamentenehmen oder Schneiden etc. ärztliche Hilfe benötigt) und die Ärztin sie dabei grob verletzt, nicht sterilisiertes Material verwendet, wenig sorgfältig arbeitet oder den Eingriff ohne Betäubung vornimmt; wenn sie ohne Versuch, die Patientin zu beruhigen, sie anbindet oder Pflegepersonal anweist, sich nicht von der Patientin „verarschen“ zu lassen, etwa auf ihr Klingelzeichen nicht zu reagieren, wenn sie ...
Glücklicherweise reicht mein Erinnerungsvermögen gar nicht aus, all die brutalen Übergriffe zu schildern, die Klinikpersonal und Ärztinnen sowie Psychotherapeutinnen an Selbstverletzerinnen begangen haben und die mir im Laufe meiner Berufstätigkeit geschildert wurden. Der „Overkill“ an Täterverhalten ist für Überlebende sexueller Gewalt natürlich die erneute Vergewaltigung, diesmal durch jemanden, an den oder die sie sich hilfesuchend gewendet haben. Leider kommt auch das wesentlich häufiger vor, als wir das für möglich halten möchten. Und dann kann es auch ein selbstverletzendes Verhalten sein, wenn die Klientin oder Patientin immer weiter zu diesem Arzt oder Therapeuten geht und sich sexuell und/oder emotional oder verbal misshandeln lässt, weil sie meint, es nicht besser verdient zu haben oder selbst an ihrer Misere schuld zu sein.
Und schließlich gibt es noch eine Gelegenheit, und zwar in allen Phasen der Psychotherapie, dass plötzlich (noch einmal) Selbstverletzung auftreten kann:
Wenn Selbstverletzung der einzige Ausdruck dafür ist, dass die Klientin überfordert ist, dass zu schnell zu viel Traumamaterial aufgedeckt oder durchgearbeitet wurde. Auch hier wird deutlich, dass Selbstverletzung häufig anstelle eines verbalen „Neins“ oder „Stopps“ auftritt und eine Grenze markieren kann, die in der Therapie überschritten wurde. Es wurde zu intim, zu überflutend, zu eindringend, zu viel ...
In jedem Fall sollte Selbstverletzung für die Therapeutin ein wichtiges Signal sein. Irgendetwas will die Klientin aussagen, und zwar etwas sehr Wesentliches. Und sie sollte verstanden werden, damit gemeinsam andere, weniger schädigende Versuche unternommen werden können, um Stress abzubauen und sich Gehör zu verschaffen. Ein wichtiger Satz ist hier: „Lass deine Gefühle sprechen, nicht handeln!“ Eine der wesentlichen Aufgaben von Psychotherapie kann darin bestehen, die Signale der Selbstverletzung zu hören, zu verstehen – und die Selbstverletzung in konstruktives Stresscoping zu verwandeln. Im Band „Wege der Traumabehandlung“ werde ich einige Möglichkeiten hierzu vorstellen.
Kapitel 8:
Was ist das Besondere an ritueller Gewalt?
„Auch wenn es noch so brutal ist, eigentlich ist es das Zuhause. Und wo will ein Kind hin?“
– „Pauline“ (in: Ulla Fröhling und „Pauline“, 2001)
Vorbemerkung
Ein solches Kapitel hätte ich Ihnen – und mir – gern erspart. Mir geht es nicht anders als Ihnen – was Sie in diesem Kapitel lesen werden, von dem wollen
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