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Trauma

Trauma

Titel: Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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und doch kam es mir jetzt unmöglich vor.
    Für einen Jungen hatten wir den Namen Andy ausgewählt, für ein Mädchen Anne.
    Anne hatte feines, goldenes Haar. Ihre Nase war vollkommen. Auch ihre Augen, ihr Kinn und ihre winzigen Händchen, einfach alles war vollkommen.
    Ich dachte an Nedra Lamm in der Tiefkühltruhe, an Punchinello im Gefängnis, an Konrad Beezo, der irgendwo da draußen in der Winternacht lauerte, und ich fragte mich, wieso ich es gewagt hatte, ein verwundbares Kind in eine Welt zu setzen, die so düster war wie unsere und die mit jedem Jahr düsterer wurde.
    An Tagen, an denen das Universum ihm grausam oder zumindest gleichgültig vorkommt, bedient mein Vater sich einer speziellen Lebensweisheit, um sich aufzumuntern. Ich habe sie schon tausendmal gehört: Wo es Kuchen gibt, da gibt’s auch Hoffnung. Und es gibt immer Kuchen.
    Trotz Konrad Beezo und all meiner Sorgen stiegen mir Freudentränen in die Augen, und ich sagte: »Willkommen auf der Welt, Annie Tock.«

40
    Wie ihr euch vielleicht erinnert, ist Annie an einem Montagabend zu uns gekommen, am 12. Januar 1998, genau sieben Tage vor dem zweiten der fünf schrecklichen Daten, die mein Großvater vorausgesehen hatte.
    Die folgende Woche war die längste meines Lebens. Schließlich warteten wir darauf, dass der zweite große Clownsschuh vom Himmel fiel.
    Der Schneesturm ging vorbei. Der Himmel nahm das harte, fahle Blau an, das allen vertraut ist, die in großer Höhe leben, eine so reine, stählerne und scharfe Farbe, dass man das Gefühl hat, man könnte sich die Hand aufschneiden, wenn man danach greift.
    Da Beezo entkommen war und da der schicksalhafte Tag noch vor uns lag, kam uns unser Haus an der Hawksbill Road gefährlich isoliert vor. Wir beschlossen, vorerst bei meinen Eltern in der Stadt zu wohnen.
    Unsere größte Angst war natürlich, dass Annie, die gerade erst zu uns auf die Welt gekommen war, uns wieder entrissen wurde – auf die eine oder andere Weise.
    Wir waren bereit, lieber zu sterben, als das zuzulassen.
    Weil Huey Foster über die Prophezeiungen meines Großvaters und ihre beunruhigende Genauigkeit bestens Bescheid wusste, stellte die Polizei rund um die Uhr einen Beamten für die Bewachung meines Elternhauses ab. Der erste kam am Mittwochvormittag, als ich Lorrie und Annie nach Hause brachte. Genauer gesagt, wurden wir mit dem Streifenwagen transportiert.

    Der jeweilige Beamte kam immer für eine Achtstundenschicht. Er machte jede Stunde einen Rundgang durchs Haus, kontrollierte die Schlösser von Türen und Fenstern und observierte die Nachbarhäuser und die Straße.
    Dad ging zur Arbeit, aber ich nahm mir frei und blieb daheim. Wenn ich vor Anspannung allzu zappelig wurde, beschäftigte ich mich natürlich trotzdem mit Backen.
    Als Stützpunkt wählten sämtliche Cops den Küchentisch, und am Donnerstag waren sie allesamt der Meinung, sie hätten noch nie im Leben so gut gegessen.
    Nach einem Todesfall oder wenn es einem sonst wie schlecht geht, drückt man unter Nachbarn oft seine Anteilnahme und Solidarität aus, indem man etwas zu essen vorbeibringt. In unserem Fall waren die Nachbarn zu befangen, um uns mit den üblichen Aufläufen und hausgemachten Kuchen zu beglücken.
    Stattdessen versorgten sie uns mit DVDs. Ich weiß nicht, ob sie unabhängig voneinander zu dem Schluss gekommen waren, in dieser mediengesättigten Zeit seien solche Scheiben ein akzeptabler Ersatz für tröstliche Essensspenden, oder ob sie eine Versammlung abgehalten hatten, um das Thema zu besprechen. Jedenfalls waren unsere heimischen Unterhaltungsbedürfnisse für die nächsten zwei Jahre voll gedeckt.
    Oma Rowena riss sich sämtliche Schwarzenegger-Filme unter den Nagel, um sie in ihrem Zimmer anzuschauen, natürlich hinter verschlossener Tür.
    Für die restlichen DVDs stellten wir eine Schachtel in eine Wohnzimmerecke und vergaßen sie vorläufig.
    Mom vollendete das Porträt des Hängebauchschweins und begann damit, das Baby zu malen. Vielleicht hatte sie sich zu viele Jahre auf Tierbilder beschränkt, denn unser süßes kleines Mädchen auf der Staffelei wies eine merkwürdige Ähnlichkeit mit einem Häschen auf.

    Annie nahm uns nicht so stark in Anspruch, wie ich erwartet hatte. Sie war ein tadelloses Baby. Sie weinte nicht. Sie machte kaum Wirbel. Sie schlief die Nacht durch – die Bäckernacht von neun Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags –, und zwar besser als wir alle.
    Fast hätte ich mir gewünscht, sie sollte zickig

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