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Trauma

Trauma

Titel: Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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dekorativen Stickerei zur Meisterschaft gebracht.
    Seit sie vor fast zwei Jahrzehnten bei Mom und Dad eingezogen war, hielt sie sich an den Lebensrhythmus eines Bäckers und stickte die ganze Nacht lang kunstreiche Muster. Meine Mutter und ich verhielten uns genauso. Statt mich in die Schule zu schicken, hatte Mom mich zu Hause unterrichtet, weil unsere Familie die Nacht zum Tag machte.
    In letzter Zeit hatte Oma sich ein neues Lieblingsmotiv erschlossen: Insekten. Der Wandbehang mit Schmetterlingen und die Stuhlkissen mit Marienkäfern waren ganz zauberhaft; mit der Spinnengirlande auf meinem Sesselschoner und dem Kakerlakenkissen konnte ich mich hingegen nicht so recht anfreunden.
    In einer Nische, die sie sich als Studio eingerichtet hatte, arbeitete Mom vergnügt an einem Tierporträt. Das Sujet war eine Krustenechse mit glitzernden Augen und dem Namen Killer.

    Weil Killer sich Fremden gegenüber feindselig benahm und nicht stubenrein war, hatten die stolzen Besitzer eine Reihe Fotos zur Verfügung gestellt, nach denen Mom sich richten konnte. Zum Glück, denn eine zischende, beißende, dazu noch pupsende Echse kann einem einen ansonsten angenehmen Abend gründlich verderben.
    Das Wohnzimmer ist klein, und das kleine Studiokabuff ist davon nur durch einen breiten Bogen mit Seidenvorhängen abgetrennt. Nun standen die Vorhänge offen, damit Mom mich im Auge behalten konnte und bereit war, rasch zu handeln, falls sie zum Beispiel Anzeichen für eine drohende spontane Selbstentzündung beobachten musste.
    Versunken in unsere jeweiligen Aktivitäten, schwiegen wir etwa eine Stunde lang. Dann sagte Mom: »Manchmal mache ich mir Sorgen, dass wir uns zu so was wie der Addams Family entwickeln. «
     
    Die anfänglichen acht Stunden meines ersten schrecklichen Tags vergingen ohne auch nur einen einzigen beunruhigenden Vorfall.
    Um Viertel nach acht kam Dad mit mehlig weiß bestaubten Augenbrauen von der Arbeit. »Ich hab’s nicht mal geschafft, eine gute Crème Plombières zu zaubern, um die Lage zu retten. Hoffentlich ist dieser Tag bald vorbei, damit ich mich wieder konzentrieren kann.«
    Am Küchentisch frühstückten wir gemeinsam. Gegen neun Uhr umarmten wir uns zum Tagesende herzlicher als üblich, dann gingen wir in unsere Zimmer und zogen uns die Decke über den Kopf.
    Gut möglich, dass die übrige Familie sich nicht die Decke über den Kopf zog, ich hingegen schon. Ich glaubte den Prophezeiungen meines Großvaters mehr, als ich den anderen gegenüber zugeben
wollte, und mit jedem Ticken der Uhr wurden meine Nerven angespannter.
    Da ich zu einer Zeit ins Bett ging, in der die meisten Leute ihren Arbeitstag begannen, brauchte ich lichtundurchlässige Jalousien und schwere Vorhänge, die den Sonnenschein und alle Geräusche schluckten. In meinem Zimmer war es still und pechschwarz.
    Nach einigen Minuten spürte ich das dringende Bedürfnis, die Nachttischlampe anzuschalten. Seit meiner frühen Kindheit hatte ich mich in der Dunkelheit nicht mehr so unwohl gefühlt.
    Aus der Nachttischschublade holte ich die Kunststoffhülle mit der Freikarte für den Zirkus, die Officer Huey Foster meinem Vater vor zwanzig Jahren geschenkt hatte. Das fast postkartengroße Billett sah aus wie frisch gedruckt. Der einzige Makel war der Knick in der Mitte, wo Dad es gefaltet hatte, damit es in sein Portemonnaie passte.
    Auf der leeren Rückseite hatte Dad notiert, was ihm mein Großvater auf dem Totenbett diktiert hatte: die fünf Daten.
    Die Vorderseite der Karte war mit Löwen und Elefanten geschmückt. Mit grellen roten Lettern wurde FREIER EINTRITT gewährt, schwarze Lettern schränkten ein: FÜR ZWEI.
    Am unteren Rand standen drei Wörter, die ich im Lauf der Jahre zahllose Male gelesen hatte: LASST EUCH VERZAUBERN!
    Je nach Stimmung schien mir dieser Satz gelegentlich Abenteuer und Wunder anzukündigen. An anderen Tagen kam ich zu einer bedrohlicheren Interpretation: IHR WERDET HIER VERHEXT, DASS EUCH VOR ANGST DIE KNIE SCHLOTTERN!
    Nachdem ich die Karte in die Schublade zurückgelegt hatte, lag ich eine Weile wach. Ich war der Meinung, nicht einschlafen zu können. Dann schlief ich doch ein.
    Drei Stunden später fuhr ich hoch und war sofort wach und in Alarmbereitschaft. Ich zitterte vor Angst.

    Wahrscheinlich war ich aus einem Albtraum aufgewacht; allerdings waren mir keine schlimmen Bilder in Erinnerung geblieben.
    Stattdessen wachte ich mit einem vollständig klaren, schrecklichen Gedanken auf, der so bedrückend war,

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