Trauma
Hauptstraße, gibt es hauptsächlich Schrägparkplätze, die ich damals tunlichst mied. Wäre die Tür eines benachbarten Fahrzeugs unachtsam geöffnet worden, so hätte mein Shelby Z womöglich eine Delle oder einen Kratzer im Lack bekommen. Jede solche Verletzung empfand ich als persönliche Wunde.
Deshalb parkte ich viel lieber direkt am Bordstein und fand einen passenden Platz gegenüber des Center Square Parks, der
tatsächlich quadratisch ist und im Zentrum der Stadt liegt. Wir Typen aus den Rocky Mountains sind manchmal so geradeheraus, wie unsere fantastische Landschaft verschnörkelt ist.
Ich stellte den Shelby Z hinter einem gelben Lieferwagen und vor der Villa Snow ab. Bei Letzterer handelt es sich um ein Wahrzeichen der Stadt, das elf Monate des Jahres für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Nur im September, der genau zwischen der Sommer- und der Wintersaison liegt, ist die Villa geschlossen.
Normalerweise wäre ich natürlich auf der Fahrerseite aus dem Wagen gestiegen. Gerade als ich das tatsächlich tun wollte, raste ein Pick-up vorbei, gefährlich nahe und doppelt so schnell wie erlaubt. Hätte ich die Tür nur wenige Sekunden früher geöffnet und einen Fuß hinausgesetzt, so hätte ich den Herbst im Krankenhaus verbracht und im Winter wohl mit ein paar Gliedern weniger auskommen müssen.
An einem anderen Tag hätte ich allerhand wenig Druckreifes über die Rücksichtslosigkeit des Fahrers in mich hineingebrabbelt und wäre anschließend endlich ausgestiegen. Heute nicht.
Vorsichtig – wenn auch hoffentlich nicht allzu vorsichtig – rutschte ich über den Schalthebel auf den Beifahrersitz und stieg am Bordstein aus.
Sofort hob ich den Kopf. Kein fallender Safe. So weit, so gut.
Snow Village, das 1872 mit aus Goldminen- und Eisenbahngeschäften stammenden Geldern gegründet wurde, ist ein Freilichtmuseum der viktorianischen Architektur, besonders am Stadtplatz, wo der rührige Denkmalschutzverein besonders erfolgreich war. Ziegel und Kalkstein bildeten die bevorzugten Baustoffe in den vier Häuserblocks rund um den Park; Türen und Fenster sind mit gemeißelten oder gegossenen Ziergiebeln und kunstvollen Eisengittern geschmückt.
Hier stehen entlang den Straßen Lärchen, hoch, konisch und
alt. An diesem Tag hatten sie ihr grünes Sommergewand noch nicht gegen das Gold des Herbstes eingetauscht.
Ich musste zur Reinigung, zur Bank und zur Bücherei. Nichts davon befand sich auf der Seite des Parks, auf der ich einen geeigneten Platz für meinen Wagen gefunden hatte.
Von den drei Zielen machte mir die Bank am meisten Sorgen. Gelegentlich wurden Banken ausgeraubt, und dabei gerieten manchmal auch unbeteiligte Kunden in die Schusslinie.
Die Klugheit riet mir, bis zum folgenden Tag zu warten, um meine Bankgeschäfte zu erledigen.
Eine chemische Reinigung wiederum war zwar noch nie in den Verdacht gekommen, bei der Behandlung eines dreiteiligen Schurwollanzugs eine Katastrophe verursacht zu haben, aber ich war ziemlich sicher, dass man dort ätzende, giftige und vielleicht sogar explosive Chemikalien verwendete.
Bibliotheken schließlich stellten mit ihren engen Gängen zwischen Holzregalen voller hochentzündlicher Bücher potenzielle Feuerfallen dar.
Unentschieden stand ich auf dem Gehsteig, der mit einem Muster aus Lärchenschatten und Sonnenlicht gesprenkelt war.
Weil die Prophezeiung von fünf schrecklichen Tagen, die mein Großvater ausgesprochen hatte, äußerst unspezifisch war, konnte ich mir für keine der genannten Situationen irgendeine Verteidigungsstrategie ausdenken. Psychologisch hatte ich mich jedoch mein ganzes Leben lang darauf vorbereitet.
Die ganze Vorbereitung verschaffte mir leider keinen Trost. Meine Fantasie hatte eine finstere Bedrohung ausgebrütet, die an meinem Rückgrat hinab in sämtliche Extremitäten kroch.
Solange ich mich nicht aus dem Haus gewagt hatte, war ich durch die Behaglichkeit unseres Heims und den Mut meiner Familie vor Angstgefühlen abgeschirmt gewesen. Nun fühlte ich mich ausgesetzt, verwundbar, im Fadenkreuz.
Verfolgungswahn mag ein Berufsrisiko von Geheimagenten, Politikern, Drogendealern und Großstadtpolizisten sein, Bäcker hingegen leiden nur selten daran. Wenn wir Getreidekäfer im Mehl finden oder in der Speisekammer feststellen, dass Bitterschokolade fehlt, denken wir nicht gleich an gerissene Gegner und ausgeklügelte Verschwörungen.
Da ich bislang ein glückliches, bequemes und – zumindest nach meiner Geburtsnacht –
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